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Homepage > Dokumentation > Pädagogik > Wie fange ich an? > In Kindergarten und Vorschule > Die Welt entdecken und Spracherwerb

Die Welt entdecken und Spracherwerb

Neugier, aktives Lernen und Sprache

Vielseitigkeit, Qualität und Authentizität der Erfahrungen, die der/die Schüler/in in der Vorschule beim "Entdecken der Welt" macht, sind für die Erweiterung seines/ihres Kenntnishorizonts ausschlaggebend. Dank der Beobachtungen, Entdeckungen, dank der Bilder, die er/sie sich macht oder benutzt, legt er/sie sich einen Grundstock von Erfahrungen zu, auf die er/sie sich später beziehen kann. Sie geben ihm/ihr die nötige Sicherheit, sein/ihr Wissen mit höherem Anspruch weiter auszubauen. Die Erfahrungen gehen von konkretem Geschehen aus (ein Eiswürfel, der schmilzt, Samenkörner, die keimen, usw.). Hinzu kommen Darstellungen (Fotos von einem Eisberg, ein Pflanzenbilderbuch, usw.).

Aktives Entdecken der Welt des Lebendigen, der Dinge und der Materialien kommt der unersättlichen Neugier der Kinder entgegen. Die Zeiten in der Vorschule sind fruchtbare Zeiten für die Sprachentwicklung. Von den spontanen, oft sehr intensiven Entdeckungs- oder Beobachtungsmomenten bis zu den systematischeren Untersuchungen probiert das Kind Denkwerkzeuge aus, erwirbt die Geschicklichkeit, die es zum Handeln braucht und arbeitet gleichzeitig an den sprachlichen Fähigkeiten, mit denen es seine Erfahrungen zum Ausdruck bringen kann. Es braucht Zeit zum Wahrnehmen, zum Handeln, zum Spüren. Die muss ihm gegeben werden. Aber dann kommt auch der Wunsch, sich mitzuteilen, die Veranlassung Worte zu suchen, in Worte zu fassen und das führt zu reicherem Wortschatz und besserem Satzbau. Der Satzbau wird umso komplizierter, je größer das Bestreben wird, sich zutreffend auszudrücken. Im Streben nach hinreichend ins Einzelne gehendem Ausdruck liegt der Ansatz, Abstand zum Gegenstand zu gewinnen. Im Austausch miteinander kommt eine mehr und mehr überlegte, geordnete Vorstellung von der Welt in Sicht...

Im Dialog Kind/Erwachsene/r, in kleinen und großen Gruppen, kommt Sprache in all ihren Funktionen zur Geltung:
- Während der Unterrichtsstunde kann man aufmerksam und sorgfältig über die Dinge und die Tatsachen, die beobachtet oder untersucht werden, sprechen: Man benennt, beschreibt, vergleicht, wertet, misst, sortiert und ordnet, was hier und jetzt da ist. Auch ein Austausch von Ansichten und Gedanken kann stattfinden, ein erstes gemeinsames Überlegen. Die Sprache dient hier dazu, zu fragen und in Frage zu stellen, zu kommentieren, Zusammenhänge (begründende, zeitliche und räumliche) herzustellen, zu erklären und den eigenen Standpunkt zu verteidigen, sich zu äußern und eine Meinungsverschiedenheit mit einem/einer Mitschüler/in zu rechtfertigen;
- Am Anfang oder am Schluss einer Stunde, wenn es darum geht, sich zu erinnern, was man getan, gesehen und verstanden hat und dann entweder abschließend Bilanz zu ziehen oder sich weitere Unterrichtsstunden vorzunehmen, dient die Sprache zur Vorwegnahme, zur Voraussicht und auch dazu, vom besonderen Zusammenhang abzusehen und allgemeinere Aussagen zu machen.

Die mündliche Sprache

Reichtum und Vielfalt naturwissenschaftlicher Erkundungs- und Untersuchungstätigkeit regen zu allerhand wechselseitigem Reden an, das jeder/jedem bei ihrem/seinem Tun und Nachdenken hilft. Über der Arbeit vergrößert sich andauernd der Wortschatz: Die/der Lehrende spart nicht mit Wörtern, die die Wirklichkeit genau beschreiben. Von den Kleinen, wo die Unterschiede zwischen den Kindern noch groß und das Sprachwerkzeug begrenzt ist, zu den Großen, wo die Sprache um ein Vielfaches reicher geworden ist, kann sich die Balance mehr und mehr vom Dialogischen zu längeren Zeiten gemeinsamen Gesprächs verschieben.

Der Dialog mit der/dem Erwachsenen und das Selbstgespräch

In den wechselnden kurzen Momenten des Dialogs zwischen Lehrer/in und Schüler/in kann das Kind sich beim Sprechen auf die Worte der/des Erwachsenen stützen, kann sich seine Gedanken bestätigen und die Ausdrucksformen, die es gerade lernt, festigen. Diese Momente ergeben sich entweder, wenn die/der Lehrende vorbeikommt (nachsieht, wie weit ein Versuch gediehen ist, Bemerkungen zur Aufzeichnung von vorangegangener Arbeit macht, noch ein Mal wiederholt, was zu untersuchen ist...) oder wenn ein Kind aus einer gemeinsamen Tätigkeit aussteigt.

Die Kleinsten brauchen oft einen Moment für sich allein, um einen soeben gemachten Handgriff oder eine Tätigkeit noch einmal durchzugehen. Dieser Moment der Aneignung, den man ihnen tunlichst lässt, ist auch ein Moment des Selbstgesprächs (immer wieder tun und immer wieder sagen). Der mehr oder weniger verinnerlichte Monolog erleichtert später, vor allem in der großen Gruppe, das Verstehen und die aktive Teilnahme.

Der sprachliche Austausch

Austausch in verschiedener Form, vor einem konkreten und in Anbetracht der Lernziele vielseitigen Hintergrund, bringt die Kinder dazu, persönliches Denken auszudrücken, also ihre Beobachtungen oder Überlegungen so genau zu formulieren, dass sie verstanden werden. Sie werden sich bewusst, dass es verschiedene Gesichtspunkte gibt und lernen mehr und mehr, die Meinung und die Überlegungen der Anderen zu berücksichtigen. Bei den Großen beginnt die/der Lehrende, die Unterschiede der Gesichtspunkte und der Ausdrucksweisen zu thematisieren. Sie/er macht darauf aufmerksam, dass bestimmte Formulierungen besser sind als andere, weil sie genauer zutreffen.

Wenn die/der Lehrende alle Schüler/innen zusammenruft, ist das ein Moment, der den Erwerb individueller Sprachkompetenzen nicht besonders wirkungsvoll fördert, der aber wichtig ist für die Ermunterung und für die genaue Festlegung dessen, was zu tun ist, und auch für das Bemühen um die Entwicklung gemeinsamer Aussagen, auf die man sich später beziehen kann. Der Spracherwerb vollzieht sich zum Teil in diesen gemeinsamen Zeiten und zum anderen Teil in kleinen Gruppen. In letzteren können Schüler/innen, die sich am großen gemeinsamen Austausch wenig beteiligen, sich leichter vergewissern, dass sie Ausdrucksfähigkeiten erworben haben und den sprachlichen Gewinn auch benutzen.

In allen Formen mündlichen Austauschs führt Wiederholung in anderer Ausdrucksweise durch die/den Erwachsene/n (und/oder durch andere Kinder) zu mehr Genauigkeit und zur Verbesserung der Aussagen, sie fördert nach und nach den besser durchdachten Ausdruck der Kenntnisse. Was die/der Lehrende sagt, ist genau genug und gleich bleibend, sodass die Kinder darin einen Rückhalt finden. Sie/er sollte dem Kind keine allzu formale Sprache aufzwingen, in der es seinen eigenen aktiven Umgang mit der Wirklichkeit oder seine persönliche Gegenstandsbeziehung nicht wieder finden würde.

Das Mündliche und die "Spurensicherung"

Mit den verschiedensten Mitteln lassen sich Reden und Denken anregen und reicher gestalten. Alben, Fotos, Zeichnungen, Bilder, Drucke, Modelle, Ton- und Videoaufnahmen, allerlei Schriftstücke können hergestellt werden. Gestützt auf konkrete Unterlagen, kann das Kind seine Gedanken sicherer und genauer fassen, gestalten und ausbauen. Die "Spurensicherung" trägt zum Lernen bei.
Alles, was von den Tätigkeiten und der Arbeit in der Klasse abgelegt und aufbewahrt werden kann[1], vermittelt den Sinn des Schriftlichen in all seinen Formen und dient dem Erwerb neuen Wissens.

Vielseitige "Spurensicherung"

Was in der Klasse zur Spurensicherung erarbeitet oder gesammelt wird, ist vielfältiger Natur: Individuelles und/oder Gemeinsames, darstellend und/oder symbolisch, eben und/oder räumlich, Ergänzendes, Auszüge aus Bilderbüchern, Büchern und Dokumenten, Realistisches wie Fotos, Drucke usw.

Abgelegt und aufbewahrt wird zu verschiedenem Gebrauch:
- Als Hilfe, nacheinander, beim Nachdenken, beim Erarbeiten, bei Absprache und Gestaltung der Fragestellung, bei der Tätigkeit, bei der Diskussion und zum dauerhaften Erhalt des Gelernten.
- Zur besseren Unterscheidung des Realen – das man darzustellen sucht (jeden Montag das Foto einer Pflanze, Piktogramme oder Symbole auf einem Kalender, Zeichnungen, die man kommentiert usw.) – vom Imaginären (Märchen, Reime, Malereien, Theater usw.). Kinder haben einen starken Bezug zu dem, was sie machen; man lässt sie Zeichnungen anfertigen, um die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was sich ändert und was "gleich ist" (d.h. auf die Realität, d. Ü.) und führt sie damit nach und nach zur Unterscheidung zwischen Fantasie- und Ausdruckszeichnung einerseits und der abbildenden, je nach dem auch schematischen Darstellung andererseits.

Der Anteil persönlicher Arbeiten des Kindes (Kopie, Niederschrift, Zeichnung, Schema, usw.) hängt vom Stand der Fähigkeiten ab. Der/dem Lehrenden etwas zu diktieren zwingt dazu, das spontane Sprechen in einen schriftlichen Text umzuformen und eignet sich besonders für die bewahrende Aufzeichnung eines Arbeitsschrittes oder die abschließenden Sätze zu der Tätigkeit. Der Übergang vom Mündlichen zur Niederschrift bedeutet das Gelernte zu seiner Zeit ablegen zu können und sich zu merken, wo es zu finden ist. Umgekehrt trägt die Gewohnheit, sich zu Beginn einer Stunde auf die Niederschrift aus der vorangegangenen zu beziehen, dazu bei, den Wert der Aufzeichnung zu betonen, die als Erinnerung an die Schularbeit den Schüler/inne/n hilft, zu behalten welche Kenntnisse von ihnen erwartet werden.

Gestaltung der schriftlichen Arbeiten

Die sprachlichen (mündlichen oder schriftlichen) Arbeiten der Schüler/innen stehen in enger Verbindung mit ihren Tätigkeiten, Handgriffen, Beobachtungen. In der Vorschule bleiben sie noch sehr abhängig von dem, was die/der Lehrende ihnen nahe legt (Vorlagen). Man muss besonders bei den schriftlichen Arbeiten darauf achten, dass keine Stereotypen entstehen, auch wenn Regelmäßigkeiten und Ähnlichkeiten sich nicht umgehen lassen. Das Schriftstück muss in erster Linie die Absicht der Schreiberin, des Schreibers wiedergeben.

Gemeinsame Schriftstücke

Hergestellt in der bilanzierenden Schlussphase oder zwischendurch in Phasen des Überlegens, unter Verwendung passender Vorlagen und Materialien (Papier im Plakatformat, Stellwände...), dienen gemeinsam hergestellte Schriftstücke dem Abstandgewinnen, fördern den Neuaufbau der Vorstellungen und die Entstehung neuer Denkmuster und -kategorien.

In unterschiedlicher Form (Wiederaufnahme individueller "Spuren", neue Darstellungen oder Ausdrucksformen) bilden sie ein gemeinsames Erinnerungsarchiv, das zum Gebrauch und zur Erweiterung zur Verfügung steht. Es kann die Form eines Albums haben. Das gemeinsam erstellte Klassenalbum:
- ist das Erinnerungsarchiv der Klasse, das von Zeit zu Zeit hervorgeholt und benutzt werden kann;
- legt Zeugnis vom Leben in der Klasse ab;
- gibt eine Auswahl von Darstellungsweisen und -mustern an, die später wieder zu gebrauchen sind;
- öffnet den Kindern den Zugang zu einer sprachlichen Ebene, die über die spontane, mündliche hinausführt;
- stellt eine systematische und datierte Sammlung von Bezugsmaterialien dar.

Das "Archiv" setzt sich aus unterschiedlichen Elementen zusammen (Fotos, mit Legenden versehene Zeichnungen, Ansichten der Kinder von dem, was sie gelernt haben, usw.). Ein erklärender Begleittext der/des Lehrenden (zum Beispiel zu Ziel, Methode, Arbeitsgestaltung der Kinder) vervollständigt die Sammlung. Eltern können das gemeinsame Album in der Klasse einsehen. Schließlich kann die/der Lehrende auch gewinnbringende Zusammenhänge mit anderen gemeinsamen Arbeiten der Klasse herstellen, zum Beispiel mit Bildersammlungen oder Wortlisten.

Das individuelle Archiv, das erste Versuchsheft

Eine individuelle Spurensicherung hilft dem Kind, besser zu erkennen, wo es in der Tätigkeit in der Schule etwas zu lernen gibt und liefert ihm konkrete Gebrauchsanweisungen für das gemeinsam zur Verwendung kommende Werkzeug. Das individuelle Album enthält alles, was das Kind allein oder mit Hilfe der Mitschüler/innen oder der/des Erwachsenen aussucht oder herstellt. Bei Bedarf können Blätter eingefügt werden für Erkundungen, die – zu den Themen der Klasse – zu Hause gemacht werden. Das erste Versuchsheft muss bei späteren Arbeiten einzusehen sein und ist eine Grundlage für den Dialog von Schule und Familie.

Grundzüge und Entwicklung der Rolle der/des Lehrenden von den Kleinen über die Mittleren zu den Großen[2]
Bezüglich Wortschatz und Satzbau wird sie/er
- bezeichnende und wertende Ausdrücke einbringen,
- Vergleiche anregen und Zusammenhänge herstellen,
- die Zusammenhänge wieder aufnehmen, um Kategorien einzuführen, die den Kenntnissen immer besser entsprechen.
Bezüglich des sprachlichen Austauschs wird sie/er
- für Momente des Zuhörens und der Wiederholung im Selbstgespräch sorgen, das, was eine/r in der Gruppe sagt, zu schätzen wissen und darauf eingehen,
- die Diskussion von gleich zu gleich an Materialien üben, über die oder mit denen gearbeitet wird,
- den sprachlichen Austausch fördern und straffen, die Fragestellung strukturieren.
Bezüglich der Spurensicherung wird sie/er
- Fragestellungen bearbeiten, damit sie zu etwas Brauchbarem führen,
- Brauchbares von früher ergänzen und neu formulieren,
- die Spurensammlung und Anfertigung vielfältiger Aufzeichnungen begleiten und darauf achten, dass die Absicht der Schülerin, des Schülers deutlich zum Ausdruck kommt.

Die kognitiven Wissenschaften – pädagogische Fragen in neuem Licht

Seit einigen Jahren hat die Psychologie einen neuen Zweig: die kognitiven Wissenschaften. Sie untersuchen die Gehirnfunktionen und ihr stoffliches Substrat, das Gehirn, als einen äußerlichen, wissenschaftlichen Gegenstand. Weder das persönliche Innenleben noch die Geschichte der Person kommen dabei in Betracht.

Die subjektive Seite der Menschen, die individuellen Unterschiede oder auch die Geschichte eines jeden werden nicht geleugnet. Die kognitiven Wissenschaften haben sich jedoch die Aufgabe gestellt, gemeinsame Eigenschaften der Gehirntätigkeit aller Menschen herauszufinden. Ihre Grundannahme ist, dass sich alle Gehirntätigkeit in Arbeitsschritte aufteilen lässt, die von Neuronengruppen mit bestimmter Funktion übernommen werden. Das soll für einfache Gehirntätigkeiten, wie die Wahrnehmung eines Balkens im Gesichtsfeld gelten, aber genau so auch für komplexe kognitive Tätigkeit wie Sprache oder Bewusstsein. Man kann die Sprache, wie es Le Petit Larousse [französisches Wörterbuch, d. Ü.] tut, beschreiben als "eine nur dem Menschen eigene Fähigkeit, seine Gedanken durch ein strukturiertes Zeichensystem auszudrücken". Aber diese allzu allgemeine Definition erklärt nicht, wie das Gehirn Sprache aufnimmt und erzeugt. Die kognitiven Wissenschaften gliedern diese Fähigkeit in eine Folge von Einzelschritten, die unabhängig von einander untersucht werden können.

Wenn man sich zum Beispiel auf die Wahrnehmung von Gesprochenem beschränkt, geht man von einer Schallwelle aus, die in elektrische Impulse umgewandelt wird. Im nächsten Schritt entstehen Phoneme und Silben, die ihrerseits wieder zu Wörtern umgeformt werden. Diesen Wörtern wird eine grammatikalische Funktion und ein Sinn gegeben. Alles zusammen wird in einen Kontext gestellt, damit man nicht nur wortwörtlich versteht, sondern auch etwaige Untertöne und Anspielungen mitkriegt.

Sämtliche Schritte nehmen nur wenige hundertstel Millisekunden in Anspruch und bringen nacheinander oder parallel zahlreiche Gehirngegenden ins Spiel, im Fall der Sprache besonders in der linken Gehirnhälfte. So lange wir keine Schwierigkeiten haben, merken wir nichts von den komplizierten Arbeitsgängen, die unser Gehirn andauernd durchläuft. Aber ein Gehirnschlag, der plötzlich den ein oder anderen Arbeitsgang blockiert, oder auch nur eine Unterhaltung in einer fremden Sprache in der lauten Umgebung einer Bar bringen uns zu Bewusstsein, dass die Maschine manchmal "ins Stottern" kommen kann. Ähnlich kann auch die kognitive Entwicklung des Kindes nicht immer ganz harmonisch und voraussehbar verlaufen, und bestimmte Schwächen, wie Dyslexie, Dyskalkulie usw. können die Schularbeit erheblich erschweren.

Aber auch wenn keine besondere Schwäche vorliegt, kann es sein, dass kulturelle Gegebenheiten nicht nur nicht zum Lernen ermuntern, sondern dem Kind das Lernen schwerer machen, ebenso wie pädagogische Methoden, die den Funktionsweisen unseres Gehirns nicht entsprechen. Ein Beispiel: Weil die Umsetzung von Graphemen in Phoneme nicht einfachen Regeln folgt, lernen englischsprachige Kinder später lesen, als italienische oder schwedische. Selbst erwachsene Italiener lesen schneller als erwachsene englische Leser. Ein anderes Beispiel: Im Chinesischen ist die dezimale Zählweise in der Benennung aller Zahlen erkennbar, während in den westlichen Sprachen die Namen der Zahlen von 10 bis 19 Ausnahmen darstellen, im Französischen auch noch die Namen der Zehner von 20 bis 90. Die Aneignung ist schwieriger. Man sieht also, dass das Lernen durch kulturelle Gegebenheiten erleichtert oder erschwert wird.

Im Ganzen ist unsere komplizierte Gehirntätigkeit unmöglich zu durchschauen. Aber wir können durchaus verstehen, ob und wo ein einzelner Arbeitsgang Mängel hat. Das Gehirn ist allerdings auch kein Computer. Es folgt eigenen Gesetzen, entsprechend dem biologischen Erbe und der Evolution. Die kognitiven Wissenschaften haben das Ziel, besser zu verstehen, wie unser Gehirn Eindrücke verarbeitet, sie umformt und aus ihnen neue Kenntnisse gewinnt. In einer Gesellschaft, die sich technisch immer komplizierter gestaltet, sind Bildung und Kenntnisse für die ganze Bevölkerung ein dringendes Anliegen. Wir müssen verstehen, wie Lernprozesse in unseren Hirnen ablaufen, damit bestimmte Hürden beim Lernen der Grundfähigkeiten Lesen, Rechnen, logisch Denken, usw., nicht zur Behinderung werden.

Die kognitiven Wissenschaften machen in dieser Richtung Fortschritte, ohne die Arbeitsweise des Gehirns auf ein rein mechanisches und elektrisches Modell zu reduzieren. Wie wir mit unseren Beispielen angedeutet haben, fällt ein neues Licht auf sehr alte pädagogische Fragen. Daher schien es uns angebracht, die Aufmerksamkeit von Lehrenden in der Vorschule auf diesen neuen Zweig der Wissenschaften zu lenken.

Ghislaine Lambertz-Dehaene (INSERM)
und Denis Le Bihan (Académie des sciences)


Fußnoten

1: Es geht dabei um Aufzubewahrendes im weitesten Sinn; wichtig ist, dass die Vielfalt der gemachten Versuche und Erfahrungen zum Ausdruck kommt. Man könnte Sammlungen anlegen, Herbarien, Fotoserien, die danach zu Quellen für die Darstellungsarbeit werden.

2: Beim Wechsel von den Kleinen zu den Mittleren bleiben die alten Anforderungen bestehen und neue kommen hinzu. Das gilt auch für den Wechsel von den Mittleren zu den Großen. [Anmerkung der Übersetzerin: Die Kleinen sind die Kinder im ersten Kindergartenjahr (3-4 Jahre), die Mittleren, die im zweiten (4-5 Jahre) und die Großen die Vorschulkinder (5-6 Jahre).]

Letzte Aktualisierung: 11.2.2014

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