Die Gezeiten (Tiden)
Autoren: | |
Publikation: | 1.9.2000 |
Herkunft: | La main à la pâte, Paris |
Seit langem interessieren sich die Astronomen für die Gezeiten: Galilei führte sie (zu Unrecht) auf die Rotation der Erde zurück und erst einige Zeit später konnte Isaac Newton verstehen, dass der Schlüssel zum Problem in der anziehenden Schwerkraft des Mondes und (in geringerem Maß) der Sonne liegt.
Anmerkung der Übersetzer
Der folgende aus dem Französischen übersetzte Text zur Deutung der Gezeiten folgt den üblichen Darstellungen in Schulbüchern und populärwissenschaftlichen Schriften, wie sie auch im deutschsprachigen Raum üblich sind.
Diese Darstellungen sind leider für Lernende nicht geeignet, da sie leicht Fehlvorstellungen erzeugen können. In dem Beitrag http://www.solstice.de/veroeffentlichungen/gezeiten/ findet man eine für die Lehre und zum Selbstlernen geeignete Darstellung.
Warum gibt es die Gezeiten?
Betrachten wir den Einfluss des Mondes auf die Erde. Infolge seiner Masse übt der Mond eine anziehende Gravitationskraft auf unseren Planeten aus. Diese Kraft ist umso stärker, je näher man dem Mond kommt (siehe den Abschnitt zur Schwerkraft). Am stärksten wirkt die Kraft dort, wo die Achse Erde-Mond die dem Mond zugewandte Seite der Erdoberfläche schneidet (Punkt A), am schwächsten im diametral gegenüberliegenden Schnittpunkt (B). In der Abbildung weiter unten – sie zeigt einen äquatorialen Schnitt durch das System Erde-Mond – bezeichnen die roten Pfeile die Gravitationskraft, die der Mond an verschiedenen Stellen der Erde ausübt. Zusätzlich zur Gravitationskraft wirkt an jedem Punkt der Erde noch die Fliehkraft. Sie ist an jedem Punkt der Erde gleich groß und zeigt auch in die gleiche Richtung, immer vom Mond weg (siehe die gelben Pfeile in der Abbildung und die beiden kleinen Animationen mit Marmeladenglasdeckeln auf der Seite www.planet-schule.de/warum/gezeiten/themenseiten/t4/s4.html). Sie hat ihren Ursprung in der Rotation des Erde-Mond-Systems um seinen gemeinsamen Schwerpunkt (da die Erde viel schwerer ist als der Mond, liegt dieser Schwerpunkt innerhalb der Erde). Die grünen Pfeile bezeichnen die Kraftdifferenzen: Der Grund für die Gezeiten liegt im Unterschied zwischen der Gravitationskraft und der Fliehkraft in jedem einzelnen Punkt der Oberfläche (die roten Pfeile in den Punkten A, B, C und D).
Eine schöne Simulation der Gezeiten findet man unter: www.planet-schule.de/warum/gezeiten/themenseiten/t2/s1.html
Wie entstehen Ebbe und Flut?
Die Größen und Entfernungen sind nicht maßstabsgetreu.
In Punkt A überwiegt die Anziehung durch den Mond die Fliehkraft durch die Bewegung der Erde um den gemeinsamen Schwerpunkt von Erde und Mond, in Punkt B ist es gerade anders herum (im Erdmittelpunkt heben sich Mondanziehung und Fliehkraft gerade auf): Die Folge ist eine Verformung unseres Planeten, er wird leicht abgeflacht. Die beiden Umgebungen von A und B werden gleichzeitig leicht "angehoben". Die Abbildung zeigt, dass es in A und B zur Flut und in C und D zur Ebbe kommt. Die Verformung ist am stärksten am Äquator (der Mond kreist um die Erde in der Äquatorebene) und nimmt zu den Polen hin stetig ab. Unser Planet erhält die Form eines Rugby-Balls (das Ellipsoid in der Abbildung). Wir wollen nicht übertreiben: Diese Deformation ist minimal (von der Größenordnung von 40 cm bei einem Erdradius von 6400 km), denn die Schwerkraft der Erde an ihrer Oberfläche ist Millionen mal stärker als die für die "Beulen" verantwortliche. Jedoch bewegt diese Verformung trotz ihrer Winzigkeit enorme Wassermengen, was dann dazu führt, dass der Tidenhub in der Bucht des Mont Saint-Michel (in der Bretagne) 15 Meter erreicht.
Würde sich die Erde genauso schnell um sich selbst drehen, wie der Mond um sie herumwandert, stünde der Mond stets über der gleichen Stelle auf der Erde. Dann wäre die Verformung statisch, die Erdrinde und die Ozeane befänden sich in einem (sehr) leicht von der Kugelförmigkeit abweichenden Gleichgewichtszustand. Die Gezeiten entstehen also durch die vereinte Wirkung von Rotation und Gravitation.
Warum gibt es zwei Tiden pro Tag?
Worauf es hier ankommt ist, dass die vom Mond erzeugte Verformung symmetrisch ist und zu zwei Beulen führt. Da der Mond sich viel langsamer um die Erde dreht (27 Tage) als die Erde um sich selbst (24 Stunden) kann man den Mond während einer Erdumdrehung als praktisch feststehend betrachten. Die Beulen liegen natürlich immer in der Achse Erde-Mond. Also sieht ein ortsgebundener Beobachter auf der Erdoberfläche jede der beiden Beulen zweimal in 24 Stunden und damit am Meer auch zwei Tiden pro Tag.
Die langsame Mondbewegung um die Erde führt dann dazu, dass sich der Gezeitenzyklus um etwa 1/27 (etwas weniger als 1 Stunde) pro Tag verschiebt. Davon kann man sich an der See täglich überzeugen.
Siehe zum Beispiel den Gezeitenkalender für Hamburg, St. Pauli.
Der Einfluss von Mond und Sonne auf den Tidenhub
Mond und Sonne sind die beiden Himmelskörper, die eine hinreichend große, sich auf die Gezeiten auswirkende Gravitationskraft an der Erdoberfläche ausüben. Die Sonne ist zwar viel massiver als der Mond, aber sie ist auch sehr viel weiter entfernt als dieser. Aus diesem Grund trägt sie nur zu etwa einem Drittel zu den Gezeiten bei. Je nach relativer Stellung von Erde, Mond und Sonne verstärken sich die beiden Beiträge (von Mond und Sonne) – siehe Fall (1) weiter unten – oder heben sich teilweise auf – siehe Fall (2). Natürlich gibt es alle Zwischenzustände...
(1) Wenn die drei Himmelskörper auf einer Linie stehen, spricht man von Springflut, besser Springtide (da auch die Ebbe entsprechend stärker ausgeprägt ist).
Beide Stellungen von Erde, Mond und Sonne führen zu Springtiden. Die Größen und Entfernungen sind nicht maßstabsgetreu.
(2) Wenn Mond und Sonne im rechten Winkel zur Erde stehen wirken sie einander entgegen, man spricht von Nippflut oder Nipptide.
Beide Stellungen von Erde, Mond und Sonne führen zu Nipptiden. Die Größen und Entfernungen sind nicht maßstabsgetreu.
Weitere bedeutende Folgen des Gezeitenphänomens
Die Erde rotiert sehr schnell um sich selbst: Auf den Mond bezogen, bewegt sich ein Punkt auf dem Erdäquator mit 1620 km/h. Die Erdrinde reagiert so langsam, dass die Beule, leicht gegen die Erde-Mond-Achse verschoben, sozusagen von der Erdrotation mitgezogen wird. Die Anziehung des Mondes auf die Beule übt also eine Rückholkraft aus, die die Erddrehung bremst und damit die Dauer von Tag und Nacht verlängert. Einen Beweis für dieses Phänomen liefern 500 Millionen Jahre alte Korallenriffe: Damals dauerte die Erdumdrehung 22 Stunden.
Mit dem Gezeitenphänomen hängt auch eine zunehmende Entfernung des Mondes von der Erde zusammen. Wegen der Drehimpulserhaltung im System Erde-Mond muss sich der Mond von der Erde entfernen, wenn die Erdumdrehung sich verlangsamt. [Anmerkung der Übersetzer: Die Erde verliert durch die Verlangsamung Energie, während der Mond Energie gewinnt und dadurch auf eine höhere (von der Erde weiter entfernte) Bahn befördert wird.] Aus Messungen des Abstandes Erde-Mond geht hervor, dass sich unser Satellit um 4 cm pro Jahr von uns entfernt.
Alles in allem haben die Gezeiten also die erstaunliche Konsequenz, dass die Tageslänge immer größer wird und der Mond sich von der Erde entfernt!
Weiterführende Links
- Gezeiten aus physikdidaktischer Sicht
- Die Gezeiten – eine schrittweise Einführung in ein komplexes Thema
- Der Gezeitensimulator
Letzte Aktualisierung: 29.11.2023