Ist die Sonne ein Lebewesen?
| Frage von: | |
| Datum: | 29.9.2002 |
Einer meiner Schüler (1. Klasse) hat mich während einer Unterrichtsstunde über "Lebewesen/Nicht-Lebewesen" gefragt, ob die Sonne ein Lebewesen sei ... Was kann ich ihm antworten? Die Sonne pflanzt sich nicht fort, ernährt sich nicht, wächst nicht ... wird aber eines Tages wohl sterben.
| Antwort von: | |
| Datum: | 4.10.2002 |
Die Frage geht hauptsächlich darum, wie man Lebewesen definiert und ich würde lieber die Biologen darüber diskutieren lassen, auch wenn es mir sehr unwahrscheinlich erscheint, dass irgendeiner von ihnen die Sonne den Lebewesen zuordnet! Sicherlich, Sterne werden geboren, entwickeln sich und sterben, aber das ist schließlich für viele Sachen der Fall und dieses Kriterium erscheint mir ein bisschen zu grob ... Lebewesen sind auch durch die Existenz einer "strukturellen Information" charakterisiert, die durch die DNA weitergegeben wird, dafür findet man nirgendwo etwas Vergleichbares; Lebewesen sind auch offene Systeme, die von ihrer Umgebung Energie und Informationen bekommen, auch das gilt nicht für die Sonne (der "Austausch" geht bei der Sonne nur in eine Richtung, nach draußen!) ... letztendlich sind die Grenzen einer Definition von Lebewesen zum Beispiel ganz klar bei den Expeditionen zum Mars aufgetaucht.
| Antwort von: | |
| Datum: | 2.10.2002 |
Ist die Sonne ein Lebewesen oder nicht? Gute Frage. Die Begriffe sind vielleicht irreführend, denn wenn man von der Geburt der Sonne (oder der Sterne) spricht, von ihrem Leben oder ihrem Tod, ist das sicherlich nur eine praktische Analogie, was überhaupt nicht bedeutet, dass die Sonne im biologischen Sinn ein Lebewesen ist. Die Sonne hat eine Geburt, ein Leben und einen Tod, genau so wie ein Toaster oder ein Auto. Man sagt von diesen Objekten, dass sie "tot" sind, um zu sagen, dass sie nicht mehr funktionieren, trotzdem würde man nicht behaupten, dass sie zu den Lebewesen gehören. Lebewesen werden dadurch charakterisiert, dass sie eine DNA besitzen. Dies gilt natürlich nicht für die Sonne. Also ist die Antwort kurz und einfach "die Sonne ist kein Lebewesen". Aber hier sind einige Überlegungen, die vielleicht nützlich sind oder auch nur ein kleines Schwätzchen ...
Also, außer dieser sehr biologischen Definition, ist die Definition von Lebewesen nicht einfach. Der Larousse [französische Enzyklopädie] definiert Lebewesen im Gegensatz zu dem was unbelebt, inert [leblos/regungslos] ist. Das würde bedeuten, dass die Mehrheit der Pflanzen keine Lebewesen sind ... Ich habe tatsächlich schon irgendwo mal von jemandem gelesen, der sich die gleiche Frage bei Kristallen stellte: organisierte Form, die nach einem wohl definierten Schema wächst. Das könnte man zwar nicht als Lebewesen betrachten, sehr gut jedoch als ein Schritt hin zu einem Lebewesen. Zweiter Punkt, die Viren. Man weiß nicht so recht, ob man sie zu den Lebewesen rechnen soll oder nicht. Keine Zellen und nicht in der Lage, sich selbständig fortzupflanzen oder außerhalb einer Wirtszelle zu "überleben". Nicht unähnlich einem Kristall ... aber ausgerüstet mit DNA.
Manche Bakterien sind anaerob, sie leben ohne Sauerstoff, das heißt Lebewesen sind nicht dadurch charakterisiert, dass sie "atmen" und die meisten Pflanzen sind genauso leblos [regungslos] wie die Sonne. Den einzigen Unterschied, den ich sehe (auf makroskopischer Ebene), ist, dass die Sonne während ihres Lebens sich nicht "von außen" ernährt, sondern von ihren eigenen Reserven. So gesehen, ernähren sich manche Insekten auch nicht (die Ephemeren vielleicht, der Schmetterling der Seidenraupe mit Sicherheit), auch sie leben von ihren inneren Reserven und ihr Verdauungsapparat ist verkümmert. Ich bin jedoch nicht sicher, ob das für ihr gesamtes Leben gilt (die Seidenraupe verschlingt unglaublich viele Brombeerblätter, bevor sie in ihrer Verpuppungsphase und als Schmetterling endgültig aufhört zu essen). Es gibt vielleicht Arten, die - genau wie die Sonne - von ihren Reserven leben, die sie vor ihrer Geburt angesammelt haben.
Mir scheint, dass das einzige, was die Sonne von Lebewesen unterscheidet (immer noch auf der makroskopischen Ebene), die Tatsache ist, dass die Sonne durch externe Ursachen erzeugt werden kann, d.h. man braucht keine weitere Sonne in der Nachbarschaft, um der Erzeuger der ersteren zu sein (auch wenn die "assistierte" Zeugung durch andere Sonnen auch existiert). Mit anderen Worten, im Gegensatz zu den Lebewesen, kann man bei Sternen "Hunde mit Katzen" machen. Und ich komme auf die technischen Begriffe zurück: Die Fortpflanzung eines Hundes ergibt einen Hund und keine Katze, weil sie auf der Registrierung der Eigenschaften eines Hundes basiert, wobei diese Registrierung ihr genetisches Erbe ist, das lediglich eine Anhäufung von Informationen ist, die auf eine molekulare Struktur kodiert wurden, die DNA. Lebewesen werden also sehr wohl durch das Vorhandensein von DNA (RNA in manchen Viren) charakterisiert, sozusagen der Personalausweis des Lebewesens, der ihn besitzt.
Ich hoffe, dass die Biologen sich nicht zu sehr lustig machen werden...
| Antwort von: | |
| Datum: | 2.10.2002 |
Meine Antwort ist eigentlich keine, ich würde nur gern betonen, dass diese Frage sehr bedeutsam ist. Ich denke, dass der Kern des Problems die Benutzung des Wortes "Leben" ist, dessen Sinn sich im täglichen Leben von dem im wissenschaftlichen Sinne unterscheidet (Stichworte: geboren werden, sterben, sich fortpflanzen ...). Wenn man sich an die allgemeinen Wortbedeutung hält, kann man sehr wohl behaupten, dass die Sonne "geboren wird", "lebt", "stirbt"...
Sie "ernährt" sich, indem sie ihre eigene Materie verbraucht (sie wandelt Wasserstoff in Helium um). Sie bewegt sich (um das Zentrum unserer Galaxie). Sie tauscht sich mit ihrer Umgebung aus (indem sie Licht und Materie ins Weltall schickt). Wir können dieses Bild noch weiter strapazieren: Man kann sogar von "Fortpflanzung" sprechen, mit Merkmalen, die weitergegeben werden: Atome und Moleküle, aber keine Gene!
Ich bin aber weit von der Idee entfernt, die Sonne als Lebewesen zu verstehen. Diese Frage zeigt meiner Meinung nach, wie die Verwendung von mehrdeutigen Begriffen es einem erlaubt, praktisch alles zu behaupten. Daher ist es wichtig, die Worte, die man benutzt, gut - wissenschaftlich - zu definieren. Was bedeutet "geboren werden", "wachsen", "sich ernähren" und "sterben"?
