Erläuterungen zu den 10 Grundsätzen von La main à la pâte
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Publikation: | 11.10.2007 |
Vorbemerkung: Die folgenden Kommentare sind von Alain Chomat verfasste, persönliche Erläuterungen der 10 Grundsätze von La main à la pâte.
Grundsatz 1
Die Kinder beobachten einen Gegenstand oder ein Phänomen in der ihnen nahen, realen, greifbaren Welt und nehmen ihn/es zum Anlass für Versuche.
Mit Gegenstand ist ein Untersuchungsgegenstand gemeint, zum Beispiel das Wasser, der Himmel, die Lebenszyklen, die Nahrung der Pflanzen, Mischungen und Lösungen usw. Man sollte sich also nicht auf materielle, natürliche oder hergestellte Gegenstände, die man anfassen und bearbeiten kann, beschränken.
Die reale Welt soll keine bereinigte, vereinfachte, rekonstruierte Welt sein; am Anfang herrscht eine gewisse Globalität, Komplexität, also muss man eine Auswahl treffen, die einem sowohl nah, als auch sinnlich erfahrbar ist: Man muss von dem ausgehen, was die Schüler kennen, was sie benutzen, womit sie umgehen.
Grundsatz 2
Bei ihrer Untersuchung überlegen und argumentieren die Kinder, sie teilen ihre Gedanken und Ergebnisse mit und diskutieren. Sie bauen Kenntnisse auf und es bleibt nicht bei rein manueller Tätigkeit.
Die Rolle der Schüler sollte sich nicht auf die reine Beobachtung beschränken, auch nicht auf die bloße Feststellung ohne jegliche Überlegung und ohne Gegenüberstellung der Ideen in der Gruppe. Argumentieren bedeutet einen Standpunkt vertreten, indem man Beweise vorbringt. Dabei ist der Lehrer sowohl der Vermittler zwischen Wissenschaft und Schülern als auch Experte, das heißt Bezugsperson für wissenschaftliche Korrektheit. Er interveniert insbesondere, wenn diskutiert wird und wenn Ideen ausgetauscht werden.
Grundsatz 3
Die von dem Lehrer angeregten Aktivitäten bauen aufeinander auf, so dass ein progressiver Lernerwerb entsteht. Die Unterrichtseinheiten richten sich nach den Lehrplänen und lassen den Schülern den größtmöglichen Raum für selbständige Arbeit.
Für eine Tätigkeit gibt es stets ein Vorher und ein Nachher, und sei es nur für den Schüler. Dementsprechend hat man es meistens mit einer Folge von Tätigkeiten zu tun, die zu einer Unterrichtseinheit werden. Die Selbständigkeit der Schüler ist gefordert, wenn die Durchführung der Unterrichtsstunden zum Beispiel vielfältige – in kleinen Gruppen parallel laufende – Versuche vorsieht, auch bei einer Beteiligung der Schüler an der Ausarbeitung des Versuchsaufbaus. Sie machen die Erfahrung des Sich-Irren-Könnens, usw.
Grundsatz 4
Ein Thema wird über mehrere Wochen in mindestens zwei Unterrichtsstunden pro Woche abgehandelt. Über die ganze Dauer der Schulzeit wird für Kontinuität der Tätigkeiten und der pädagogischen Methoden gesorgt.
Ein und dasselbe Thema wird mehrere Wochen lang behandelt, um ein Verzetteln bei der Fülle von angeschnittenen Fragestellungen – kaum angedeutet, schon wieder fallen gelassen – zu vermeiden. Dadurch haben die Schüler Zeit, sich in die Untersuchung hineinzudenken und sich ihr Wissen und Können aufzubauen.
Man muss sich um Kontinuität der Tätigkeiten und Methoden bemühen. Die Kinder erleben, vom Kindergarten an, eine persönliche und schulische Realität. Der Lehrer muss sich bewusst sein, wo in diesem Kontinuum er sich mit der Unterrichtsstunde in einem gegebenen Fach bewegt. Auch ist die Abstimmung unter Lehrenden verschiedener Unterrichtsstufen eine Notwendigkeit, damit in der Praxis Lehrpläne bruchlos umgesetzt werden und die Kontinuität der pädagogischen Methoden gewährleistet ist.
Grundsatz 5
Die Kinder haben alle ein Versuchsheft für ihre persönlichen Aufzeichnungen.
In das Versuchsheft wird alles eingetragen, was zur "Spurensicherung" der naturwissenschaftlichen Tätigkeit dient: Wörter, Sätze Zeichnungen, usw. Das Versuchsheft könnte zweigeteilt sein, in:
- einen freien Teil, der – jedenfalls zu Anfang – spontan, und ungeordnet ist. Nach und nach wird der Schüler mit Hilfe des Lehrers, aber auch durch Selbstkorrektur, seine Aufzeichnungen ordnen, seine Rechtschreibung und seinen schriftlichen Ausdruck verbessern);
- einen institutionalisierten Teil, in dem die Ergebnisse, die mit Hilfe des Lehrers gesucht und gefunden wurden, niedergeschrieben werden, Ergebnisse, auf die sich schließlich alle geeinigt haben und die das Zeugnis gemeinsamen Wissens sind.
Für den Schüler ist das "Heft" von mehrfachem Interesse: Es dient als Gedächtnis, als Zeuge des Lernfortschritts, der Entwicklung im Laufe des Jahres oder der Lernstufe; es dient der Mitteilung untereinander (Mitschüler, Lehrer), aber auch als Unterlage für die Entwicklung und Konstruktion eigener Überlegungen.
Der Lehrer findet darin Hinweise auf die Vorstellungen der Schüler, auf den Lernfortschritt, organisiert dementsprechend die Unterrichtsstunden und verändert sie manchmal auch. Das Versuchsheft ist ein Hauptelement von La main à la pâte.
Grundsatz 6
Das Hauptziel ist die progressive Aneignung von naturwissenschaftlichen Vorstellungen und Auffassungen, von Arbeitstechniken und Verfahrensweisen. Damit verbunden ist das Streben nach Sicherheit im mündlichen und schriftlichen Ausdruck.
Hier wird die enge Verbindung von naturwissenschaftlichem und sprachlichem Lernerwerb betont. Diese enge Verbindung kann zu wechselseitiger Anregung führen, kann aber auch bei manchen Schülern, die ihre – richtigen – Gedanken nicht in die richtigen Worte fassen können, zu Lernhemmungen führen. Umso mehr müssen die Lehrer darauf achten, dass jeder Schüler sich ausdrücken kann.
Grundsatz 7
Die Familien und/oder das Stadtviertel werden einbezogen und sind aufgefordert, die in der Schule gemachte Arbeit zu unterstützen.
Von Grundsatz 1 an wird der Bezug zur außerschulischen Welt betont. Dieser sollte sich so oft wie möglich auch auf die Anerkennung und Inanspruchnahme von Wissen aus der familiären Umgebung der Schüler erstrecken. Die Familien sollten sich so weit es geht am Lernerwerb ihres Kindes beteiligen. Gleichzeitig sollte man darauf achten, die aufgrund des familiären Hintergrunds bestehenden Ungleichheiten nicht noch zu verstärken.
Grundsatz 8
Vor Ort begleiten Partner aus der Wissenschaft (Universitäten, außeruniversitäre Institute, Grandes Écoles) die Arbeit in der Schule und stellen ihre Kompetenzen zur Verfügung.
Die Partner aus der Wissenschaft sind Stütze und Gewährspersonen für den Lehrer, dürfen jedoch niemals dessen Rolle übernehmen. Der Lehrer ist und bleibt allein verantwortlich für den Unterricht. Dagegen kann und darf die Begegnung mit Wissenschaftlern die Schüler durchaus motivieren.
Grundsätze 9 und 10
Vor Ort stellen die universitären Lehrerbildungsinstitute ihre pädagogische und didaktische Erfahrung den Lehrenden zur Verfügung.
Lehrende auf der Internetseite fondation-lamap.org Unterrichtsmodule, Arbeitsideen, Antworten auf ihre Fragen. Sie können sich auch mit Kollegen, Ausbildern, Wissenschaftlern austauschen und zusammenarbeiten.
Die letzten beiden Grundsätze entsprechen dem Wunsch nach lebendigen und motivierenden Beziehungen. Die Lehrer sollen aus der Isolation befreit werden und darüber hinaus bei Wissenschaftlern, Ausbildern und Kollegen einen Rückhalt finden. Das bedeutet:
- dass Wissenschaftler auf die Schulen zugehen (sich hinbegeben, sich aber auch den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Schulen anpassen);
- dass Ausbilder insbesondere Sorge tragen, dass am Ende der Ausbildung kein Vakuum entsteht, sondern die Zusammenarbeit weitergeht;
- dass Lehrer sich bemühen und bereit sind, ihre pädagogischen Sorgen mit anderen zu teilen, sich für diejenigen der anderen zu interessieren, sich auszutauschen, angstfrei zu kommunizieren, das Internet benutzen zu lernen.
Letzte Aktualisierung: 14.10.2024