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Homepage > La main à la pâte > Lamap entdecken > Grundsätze und Ziele > Mehr über Lamap

Mehr über La main à la pâte von Sophie Ernst

Dieser Text wurde von Sophie Ernst [1] im November 1997 verfasst.
Siehe auch ihren Artikel "Subjektivität und Objektivität im naturwissen­schaftlichen Unterricht".

Naturwissenschaft für alle, allen zugänglich

La main à la pâte möchte den in den ersten Schuljahren oft ziemlich vernach­lässigten und sich selten auf das Experimentieren gründenden Unterricht in den Naturwissenschaften neu beleben. Mit der diesen Wissenschaften eigenen experimentellen Herangehensweise allen Kindern die Möglichkeit zu geben, sich eine naturwissenschaftliche Kultur zuzulegen, heißt, allen Kindern von Grund auf das Verstehen und Handeln in der modernen Welt zu erleichtern. Mit einem großen, universalistischen Vorhaben wird die demokratische Schule neu be­gründet.

Experimentieren, nachforschen

In der Schule sucht La main à la pâte, soweit wie möglich, die Kinder zum Tun anzuregen: zu Tätigkeiten, bei denen die Kinder selbst Versuche machen. Selbst soll heißen, dass diese Experimente von ihnen erdacht und aufgebaut werden. Gewiss kommt es darauf an, ihnen die naturwissenschaftliche Praxis zu vermitteln: das Tun, das Fragen, das Untersuchen, das Experimentieren; und nicht fertige, auswendig zu lernende Ergebnisse. Aber es kommt auch auf das Nachdenken an und darauf, dass mit der Sprache geistig verarbeitet wird, was man im Versuch tut. Man forscht über die Dinge nach. Die Kinder beob­achten, wundern sich, entwickeln eine Fragestellung, stürzen sich in Versuche, um das Problem zu lösen. Sie suchen nach richtigen Erklärungen für die Vor­kommnisse, lernen, wie man Kenntnisse erwirbt, ob sie gültig sind, und warum man Wert auf sie legt; die Kinder werden gegen Dogmatismen geimpft.

Schlüsselelement dieser Pädagogik des Untersuchens ist das Versuchsheft: Der Schüler stellt dar, was geschieht und welche Gedanken er sich dazu macht, ausgedrückt mit eigenen Worten, mit Zeichnungen und schema­tischen Darstellungen. Er lernt auf diese Weise das Nachdenken über das, was er tut und sieht. Die ganze Schulzeit über, von Untersuchung zu Un­tersuchung, vollzieht sich ein Lernprozess in elementarer Naturwissenschaft, entsteht fortlaufend ein gemeinsames naturwissenschaftliches Theorie­gebäude.

Sprache und politisch-soziales Verhalten

Die Jugend braucht naturwissenschaftliche Bildung, deshalb wollen wir den naturwissenschaftlichen Unterricht entwickeln. Gleichzeitig kommen jedoch erzieherische Möglichkeiten ins Spiel, die über den naturwissenschaftlichen Unterricht hinausgehen, und die diesen Unterricht tatsächlich unersetzlich machen. La main à la pâte möchte den Spracherwerb fördern, im Sprechen, Lesen und Schreiben. Die Kinder sollen das Argumentieren lernen. Es soll Hilfe zur Entwicklung einer objektiven Haltung gegeben werden und gleichzeitig sollen die Kinder sich als Subjekte des Redens und des Lernens entdecken. Indem La main à la pâte den Kindern beibringt Probleme durch Diskussion zu lösen, wird auch politisch-soziales Verhalten geübt.

Einen vernachlässigten Unterricht neu beleben

La main à la pâte nimmt sich vor, den Unterricht in den experimentellen Wis­senschaften in der Grundschule neu zu beleben. In der Tat wird in der Schule dieser Unterricht auf Grund verschiedener Faktoren oft vernachlässigt. Häufig (nicht immer, aber häufig) führt, unter dem Druck der öffentlichen Meinung, der legitime Wunsch, mit dem Analphabetentum endlich aufzuräumen, zu einem unerwünschten Nebeneffekt. In ihrem Kampf gegen Schulversagen bemühen sich die Lehrer besonders um die instrumentellen Kenntnisse Lesen, Schreiben, Rechnen, auf Kosten eines kulturellen Unterrichts, der dann in dem Gedanken, dass zunächst die Grundlagen gelegt sein sollten, dem Collège [der Sekundarstufe 1] überlassen wird. Es bleibt dahingestellt, ob der Erwerb ins­trumenteller Kenntnisse ohne kulturelles Lernen auskommt. Bestenfalls finden einzelne Lerngegenstände Beachtung, ohne systematischen, fortdauernden und weitergehenden Zusammenhang. Aber auch wenn Naturwissenschaften auf dem Stundenplan stehen – häufig ab der 3. Klasse und dann vor allem Biologie – geht es im Unterricht selten um naturwissenschaftliche Tätigkeiten, um Versuche und Überlegungen.

Wir wollen diesen Unterricht neu beleben: nicht neu erfinden, nicht wiederher­stellen. Ihn neu beleben bedeutet ihn neu begründen. Wir möchten uns auf Netzwerke und Ressourcen stützen und berufen, die uns gezeigt haben, wie man bereits Bestehendes entwickeln, bewährte Ansätze aufnehmen und dort, wo man zögert, ermutigen kann. In den 70er Jahren, als "l'Éveil" [2] die Runde machte, gab es viele Ansätze, die einen vorbildlich, andere eher enttäu­schend, aber sie sind insgesamt minoritär geblieben; es ist an der Zeit, hier wieder anzuknüpfen, dort zu verbessern, wo kritische Erfahrung uns hat lernen lassen, und darauf hinzuarbeiten, dass sich alle Schulen und Klassen betei­ligen.

Die Tradition einer Arbeitspädagogik fortführen

La main à la pâte stellt sich den Klassen zunächst als eine "aktive Pädagogik" dar, gelernt wird durch tun, durch diskutieren und zum Ausdruck bringen, was zu sagen ist. Damit knüpft La main à la pâte an eine große pädagogische Überlieferung an, von der sich auch "l'Éveil" anregen ließ. Man geht davon aus, dass das Kind, um lernen zu können, nicht um eine Stufe des "Selbermachens" herumkommt, im natürlichen Maßstab, unmittelbar, sowohl in künstlich herge­stellten als auch in Alltagssituationen. Kinder suchen einfache Vorkommnisse zu erklären, Vorkommnisse, die sie verstehen können; das sind die Dinge, die ihnen das tägliche Leben und ihre gewöhnliche Erfahrung bieten: Wasser, das kocht, Eisblumen am Fenster, eine Lampe, die aufleuchtet.

La main à la pâte möchte weniger eine neue pädagogische Methode sein, als vielmehr Energien sammeln und vereinen. Den Unterricht neu zu beleben be­deutet Anregungen, die über dreißig Jahre zu Reformen und Versuchen geführt haben, wieder aufzunehmen und weiterzubringen und dabei sowohl die gelun­genen Neuerungen einzubeziehen, als auch kritische Überlegungen. Gleichzeitig heißt das, naturwissenschaftlichen Unterricht neu zu begründen, im Rahmen einer ganzheitlichen Auffassung der demokratischen Schule, die sich in dreißig Jahren pädagogischen Nachdenkens über den grundlegenden Lernerwerb ergeben hat.

Was nach zwanzig Jahren von "l'Éveil" übrig ist

"L'Éveil" wurde angegriffen, manchmal zu Recht und konstruktiv, und ebenso oft hart und ungerecht, vor reaktionärem Hintergrund. Tatsächlich ist, was davon in den Schulen nach zwanzig Jahren noch übrig ist, oft mager, wenn man von naturwissenschaftlich begeisterten Lehrerinnen und Lehrern mit oft vorbildlicher Unterrichtspraxis absieht. Vor allem fällt auf, dass es kein Curriculum gibt, keinen Plan für einen dauerhaft fortschreitenden, naturwissenschaftlichen Lernprozess.

Lehrpläne werden praktisch kaum eingehalten. Es scheint, als würde man sie wie folgt auslegen: Da der naturwissenschaftliche Unterricht in der Sekundar­stufe bei Null wieder aufgenommen wird, kann sich die Grundschule auf den Erwerb der Grundfähigkeiten [Lesen, Schreiben, Rechnen] beschränken und nur anhand von ein paar "Themen" in die Naturwissenschaften einführen, die sich "bei Gelegenheit" ergeben, bei einem Ausflug in den Zoo oder bei einem Vortrag, weil ein Kind eine Frage stellt oder einen Gegenstand anbringt, usw. Über diese Themen, die der Zufall oder die Neugier vorgeben, machen die Kinder dann ein paar Versuche und schreiben einen zusammenfassenden Text ins "Aufweckheft" [cahier d'éveil], zusammen mit Geschichte und Geographie.

Oft läuft in den Schulen eine ziemlich lockere Arbeitsweise unter dem Namen "Éveil", obwohl die Pläne der anfänglichen Vertreter unvergleichlich ehr­geiziger waren. Die Wirkung ist entsprechend begrenzt. Sie ist zu oberflächlich und stellt nicht sicher, dass sich das Kind tatsächlich naturwissenschaftliche Vorstellungen aneignen kann. Sie verhilft nicht zu einem zusammenhängenden naturwissenschaftlichen, dem Kind angemessenen Lernerwerb. Praktisch laufen häufig zwei Phasen einfach nacheinander ab: Das Kind beobachtet, hantiert nach Gutdünken und dann führt der Erwachsene ein paar Sätze mit natur­wissenschaftlichem Vokabular ein, ohne dass eine für das Kind erkennbare Ver­bindung mit seinem vorherigen Tun hergestellt wird. Eine andere, häufig ange­wandte Methode ist die der illustrierenden Demonstration: Man liest die Be­schreibung eines Sachverhalts und vollzieht ihn mit ein paar Handgriffen nach. In beiden Fällen ist das Handeln vor allem spielerisch und der Lehrer verkündet von der Höhe seines Wissens eine Wahrheit. Das ist keine Un­tersuchung, in der das Kind selbst sein Wissen erwirbt und durch sein Experi­mentieren zu einer Entdeckung kommt.

Die Erneuerung möglich machen

Nichts Neues im La main à la pâte-Projekt, wird ein übellauniger Kopf trotz aller Vorwarnung sagen: Ist das nicht dasselbe wie die Pädagogik, die Freinet wollte, dasselbe wie "l'Éveil"? Alles war schon einmal da, und trotzdem scheint es, als müsste man wieder neu beginnen. In wie vielen Klassen wird wirklich mit Versuchen naturwissenschaftlich unterrichtet, und nicht nur gelernt, was im Schulbuch steht (oder fotokopiert und ins Heft geklebt wird)?

Nichts Neues, nur die Forderung, den Unterricht mit den modernen Natur­wissenschaften in Einklang zu bringen, nur die Notwendigkeit, die gemachten Erfahrungen und die Kritik in einer Weise einzubringen, die die Lehrer gebrauchen können, nur der Wille, alle diese Techniken zur Anwendung zu bringen, egal, ob sie nun sehr gelobt oder sehr schlecht gemacht wurden. Sie sind nämlich anspruchsvoll und lassen sich nicht einfach improvisieren. Sie beruhen auf einer soliden Ausbildung, auf Instrumenten, auf Handbüchern und auf sorgfältiger Vorbereitung. Die Fortschritte der erziehungswissenschaft­lichen Forschung, die Verbreitung der erfolgreichsten pädagogischen Arbeits­weisen verlangen praktisch gut überlegte Instrumente, in denen die Erfahrun­gen in eine Form eingebettet werden, die sich andere aneignen können: Es ist wirklichkeitsfremd, allein auf die Erfindungsgabe des Lehrers zu setzen.

Die Frage ist also weniger "Wie sind Naturwissenschaften zu unterrichten?" als vielmehr "Wie können alle Lehrer erfolgreich Naturwissenschaften unter­richten, ohne dass von ihnen verlangt wird, wagemutige Neuerer zu sein". Es ist das Originelle an den US-Amerikanern, verstanden zu haben, dass eine wirkliche Umwandlung des Unterrichts einen politischen Willen verlangt, ein Engagement wissenschaftlicher Kreise, eine starke Mobilisierung des gan­zen Systems, eine Synergie aller zur Unterstützung und Begleitung der Leh­rer. Diese Begleitung geschieht auf verschiedene Weise: Man stellt im Besonderen fest, dass das "Inquiry"-Konzept, nicht gerade den französischen Gewohnheiten und Erwartungen entsprechend, Lehrbücher eines neuen Typs beinhaltet, die alle Vorbereitungen vollständig beschreiben. Den Schulen wird das ganze Material, das sie für die Versuche brauchen, geliefert.

Das Wesentliche ist, dass die Lehrenden nicht sich selbst überlassen werden und sich alles selbst ausdenken müssen.

Sich stützen auf die kindliche Neugier

Kinder betrachten die natürliche Welt mit Neugier und sind unermüdliche Fra­ger: Sie schrecken vor nichts zurück und steuern auf die dornigsten Fragen zu, ja auch auf solche, für die die gegenwärtige Naturwissenschaft kaum Antworten parat hat. Man kann natürlich nicht immer auf die Fragen eingehen; aber es ist schade, wenn diese Neugier nach und nach erlischt, weil sie nicht genügend Ermutigung fand. Dagegen wäre es sehr gut, wenn man sie für den Erwerb einer naturwissenschaftlichen Kultur nutzen würde, die gewiss nur einfach und elementar sein kann, aber doch grundlegend; die Vorstellungen und Methoden, die man sich in diesem Alter zulegt, sind entscheidend und mehr noch: Was sich hier bildet, bestimmt dauerhaft das Verhältnis zum Wissen überhaupt.

Später, wenn der naturwissenschaftliche Unterricht in der Sekundarstufe an­fängt, ist es oft zu spät: Die meisten Jugendlichen, vor allem die Mädchen, interessieren sich mehr für das Menschliche, als für die Welt der Natur und Materie: In der Sekundarstufe ist der naturwissenschaftliche Unterricht befan­gen im Hinblick auf Auswahl und schulische Ausrichtung, eine bittere Pille, die es um der beruflichen Aussichten willen zu schlucken gilt; die "Grandes Écoles" (Eliteuniversitäten) und die vorbereitenden Kurse deformieren allen Unterricht zu Gunsten eines anspruchsvollen mathematischen Formalismus, zu Ungunsten einer kulturelleren, mehr experimentellen Herangehensweise, die allen zugäng­lich wäre; im Ergebnis ist Physik das Fach, das von den Schülern in der Sekundarstufe, besonders von den Mädchen, am wenigsten geschätzt wird.

Vielen blieb in der Kindheit eine Tür verschlossen, die sich weit hätte öffnen sollen in einen Garten, zu einem Himmel voller Sterne... La main à la pâte möchte sich auf die unverbrauchte Neugier der Kinder stützen, auf diese Lust zu sehen, zu fühlen, etwas zu machen, die Dinge der Umgebung in Bewegung zu setzen. Auf diese Weise soll ein Lernerwerb in den Naturwissenschaften konstruiert werden, der gewiss nur ein einfacher ist, aber ein zusammenhän­gender und in sich schlüssiger.

Die Welt ordnen und meistern

Es geht darum, die Kinder mit einer naturwissenschaftlichen Kultur für unsere Gegenwart auszurüsten: Sie sollen die Welt besser verstehen und besser meis­tern. Was soll das heißen, eine Kultur? Es kann sich auf dieser Ebene nicht darum handeln, den Lernerwerb der Sekundarstufe, der in die mathematische Formalisierung einführt, vorwegzunehmen. Aber solange die Kinder eine leb­hafte Neugier in Bezug auf die Welt, die Dinge, die Natur entwickeln, in einem Alter, in dem sich dauerhafte Vorstellungen bilden, lohnt es Grundlagen der Naturwissenschaften zu vermitteln, die den Zugang zu Wahrnehmung und Erklärung von einfachen Vorkommnissen des täglichen Lebens öffnen.

Verstehen heißt, über Wörter, Zusammenhänge, erklärende Modelle verfügen, die Ordnung in die Wahrnehmung bringen – die Welt wird dichter, vielschich­tiger und gleichzeitig verständlicher: Dank der Vorstellung bekommt man das Chaos in den Griff. Heutzutage ist das Leben der Kinder stark vom Fernsehen geprägt, sie sind an stets gegenwärtiges Flimmern gewöhnt, ohne Ordnung, ohne Kontinuität, ohne Zusammenhang. Es ist wichtig, dass sie sich ein Zu­hause in einer wirklichen Welt schaffen, mit wirklichen Dingen. Eine Welt, die sich mit den Naturwissenschaften verstehen lässt als eine nach bestimmten Regeln und Strukturen aufgebaute Welt. Es ist auch wichtig, dass die Kinder diese vernünftige Wahrnehmung der Welt mit der technischen Möglichkeit, sie zu meistern und zu verändern, verbinden. Denn die modernen Gesellschaften beruhen auf dieser Verbindung von Wissenschaft und Technik, von Forschung und industrieller Produktion. Sich dieser Welt ganz zu entziehen, birgt ein wenig die Gefahr, aus der Gegenwart herauszufallen.

Einfache Grundlagen einer naturwissenschaftlichen Kultur

Tag für Tag, Jahr für Jahr, wächst während der Grundschulzeit das Fundament einer naturwissenschaftlichen Kultur. Man nimmt sich alle Zeit der Welt für diesen gründlichen Aufbau der Schlüsselbegriffe, nähert sich ihnen langsam und nach und nach von verschiedenen Seiten. Und dann, Stück für Stück, nimmt ein zusammenhängendes und in sich schlüssiges Theoriegebäude eine Form an.

Die Stärke der amerikanischen Materialien liegt in einer bestimmten Auffassung von "standards": nicht ganz Lehrpläne, auch nicht Normen, vielmehr eine Reihe von Zielvorgaben, von Vorschlägen für die Lehrer. Diese standards sind das Ergebnis intensiver Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Didaktikern und Lehrern. Sie legen die wichtigsten, kindgemäßen Kenntnisse zum Verständnis moderner Naturwissenschaft fest. Ebenso die im Hinblick auf das Begreifen und den weiteren schulischen Weg am meisten Erfolg versprechenden Versuche.

Später, in der Sekundarstufe, kommt die Zeit für den mathematischen Forma­lismus. Es bleibt jedoch dabei, dass methodisches Fragen, das Streben nach Verständlichkeit und Vorstellungen von der Welt, die zugleich richtig und ent­wicklungsfähig sind, sich in der Kindheit bilden und ihren Platz einnehmen.

La main à la pâte möchte bei den Kindern gesteigerte Neugier für die Natur anregen, möchte das Fragen und das Suchen nach einer Antwort zur Gewohn­heit machen, ebenso Bescheidenheit und praktischen Erfindungsreichtum bei den Experimenten. La main à la pâte möchte den Drang zu verstehen, was Worte bedeuten, wecken, ohne sich Sand in die Augen streuen zu lassen und fern von autoritärer Definition. Die laizistische Erziehung in allen Schulen Frankreichs sollte sich diese empirische und auf Vernunft gründende Haltung als Ziel setzen.

Eine Wissenschaft der einfachen, konkreten und vertrauten Dinge

Wenn Kinder sich der Stärke bewusst werden sollen, die im Verstehen der Dinge liegt, halten wir es für unsinnig, sie mit einer technologisch hoch ent­wickelten Naturwissenschaft und mit virtuellen Gegenständen zu konfrontieren. Da ist eine Wissenschaft von einfachen Dingen, denen man tagtäglich begeg­net, besser angebracht, eine Wissenschaft von der die Kinder umgebenden Realität. Es ist besser, für einen vertrauten Gegenstand die Erklärungen und die Versuche bis ins Einzelne zu beherrschen, als sich in einer Fülle von Infor­mationen unsicherer Herkunft zu verlieren.

Es stimmt natürlich, dass die moderne Wissenschaft nicht mit Bindfaden, Rea­genzglas und Zirkel arbeitet; es stimmt, dass sie sich heute auf einem tech­nisch sehr hohen Niveau bewegt, wo die Informatik einen entscheidenden Platz einnimmt. Aber gerade aus diesem Grund scheint es uns wichtig, dem "rein Virtuellen" der Bildschirmwelt zu widerstehen. Ja, Kinder sollten sehr schnell lernen, sich der modernsten technischen Geräte zu bedienen; ja, sie sollten ruhig ziemlich schnell, aber doch eher erst in der Sekundarstufe, Zugang zu den in der Forschung aktuellen Techniken finden. In der Grund­schule müssen sie jedoch zu allererst einen Zugang zur Wirklichkeit außerhalb des Bildschirms aufbauen; sie müssen verstehen, was die Naturwissenschaft für ein Verhältnis zur Welt hat; sie müssen fühlen, welche Macht ihnen das Argumentieren und das Nachdenken über Dinge, die sie in ihrer Umgebung handhaben und verändern, gibt. Der grundlegende Lernerwerb in den Natur­wissenschaften darf keine Ansammlung von Information sein, weder aus dem Lehrbuch, noch vom Bildschirm: Am Anfang geht es darum, den richtigen Zugang zu den experimentellen Herangehensweisen zu finden, zu den Gedan­kengängen des Untersuchens und Begründens. Auf diesen, den Kindern ange­messenen Grundstock naturwissenschaftlicher Untersuchungen können die Leistungen der modernen Technologie aufgepfropft werden, als Werkzeuge im Dienst eines Gedankens und nicht als blinde Mächte.

Naturwissenschaft und Medien: komplementäre, aber deutlich verschiedene Ziele

Die beiden Ziele: 1. an einfachen, konkreten und vertrauten Dingen Natur­wissenschaften zu lernen und 2. zu lernen, sich der neuen Technologien zu bedienen, sind nicht gegensätzlich, sie ergänzen sich. Man darf sie jedoch nicht durcheinander bringen. Soweit sich La main à la pâte an die Lehrer wendet, stützt es sich auf das Internet, zur Verbreitung der Ressourcen und zu vielfältigem Austausch, für die Kommunikation zwischen den Schulen und das Netzwerk der Lehrenden. Eine Gelegenheit für die Schulen sich an diesem Werkzeug zu üben und seine Möglichkeiten auszuschöpfen, nicht ziellos und rein formell, sondern in Verbindung mit einem sinnvollen Vorhaben: Man lernt umso besser sich eines Werkzeugs zu bedienen, je sinnvoller man es einsetzen kann.

Wenn es dagegen um die Kinder geht, hat La main à la pâte in erster Linie und ganz besonders das Ziel, eine Naturwissenschaft des Konkreten aufzubauen; was keineswegs daran hindert, alle Ressourcen der neuen Technologien zu verwenden – um eine bestimmte Information zu suchen, um mit jemand ande­rem über die Entfernung zu kommunizieren, um Unterlagen auszutauschen. Um jedoch die neuen Technologien vernünftig benutzen zu können, müssen die mentalen Strukturen der Vernunft und der Verarbeitung von Information vor­handen sein, auf allen Gebieten müssen grundlegende Kenntnisse erworben worden sein. Wissen erwerben heißt nicht einfach Informationen sammeln, und Lesen ersetzt nicht die direkte Untersuchung der naturwissenschaftlichen Gegenstände.

Im Hinblick auf das Alter der Kinder geschieht das am besten in den Natur­wissenschaften mit einfachen, konkreten Gegenständen, an vertrauten Din­gen, an denen man entdeckt, dass sich aus ihnen Gegenstände wissenschaft­licher Erkenntnis machen lassen.

Alle möglichen partiellen Neuerungen aufgreifen

Vor dreißig Jahren hat man versucht, mit einer Reformwelle die Grundschule zu modernisieren, sie an neue Auffassungen von Wissen, an neue pädagogische Gedanken anzupassen, an die neue Lage, die durch den allgemeinen Zugang zum Einheits-Collège (Sekundarstufe 1) [3] entstanden war. Der Wille, die Schule gerechter, gleichberechtigter zu gestalten, löste eine zweite große Erneuerungswelle in den 80er Jahren aus: Man versuchte dem Schulversagen mit zahlreichen pädagogischen Maßnahmen beizukommen, diesmal eher durch Umorganisation der Strukturen als durch Änderungen der Unterrichtsinhalte – die ZEP [4], das mit dem Namen Lyonel Jospin verknüpfte "Schulprojekt" [5], die Ersetzung der Jahreszyklen in Vor- und Grundschule durch lernzielorientierte Zyklen [6], die pädagogische Differenzierung [7], Partnerschaften, die Einbezie­hung der Familien, begleitender Zusatzunterricht, angeleitete Projektarbeiten.

Alle diese Maßnahmen wurden vor Ort vielfach variiert und sind immer wieder bewertet, kritisiert und überprüft worden. Auch die bis dahin nie da gewesene Bewertungsanstrengung war Bestandteil der Neuerungen. Nur haben die spru­delnden Erneuerungsversuche praktisch zu einer großen Verzettelung geführt: Der Unterricht ist kaum noch standardisiert und die kulturelle Ausrichtung hat oft gelitten. Die gegenwärtige Schule richtet ihr Bemühen auf möglichst viele positive Evaluierungen und bezieht sich kaum noch auf Emanzipation durch Wissen, weder in den Naturwissenschaften, noch in Geschichte und Geogra­phie. Dabei würde gerade dieser kulturelle Bezug der explodierenden Vielfalt pädagogischer Maßnahmen einen Sinn geben können. Heute liegt die Heraus­forderung darin, all diese partiellen Maßnahmen, sowie die Kritik an ihnen, in einem globalen, der republikanischen Tradition würdigen Vorhaben zu vereinen: rationalistisch, modern, demokratisch, offen gegenüber der Welt und der Zukunft.

Unterschiedliche Pädagogik, gemeinsame Kultur

Die Lehrer sind aufgerufen, mit einer "differenzierten Pädagogik" zu un­terrichten und viele von ihnen fragen sich, wie sie sich gleichzeitig einer Klasse und jedem einzelnen Individuum zuwenden sollen, wie sie das Interesse der Gruppe wach halten und trotzdem auf jeden eingehen sollen. Unter solchen Umständen lohnt ein Vorhaben, das die Klasse durch eine gemeinsame Unter­suchung stärkt, in der die individuelle Verschiedenheit der Kinder die Gruppe bereichert, statt sie zu bremsen.

Der naturwissenschaftliche Unterricht differenziert die Pädagogik ganz von selbst, denn er kann andere Interessen ansprechen, andere Ressourcen mobi­lisieren als die Beschäftigung mit Literatur, mit Kunst oder mit Sport. Weil die Kinder ihnen geläufige Dinge in der natürlichen Welt untersuchen können, kom­men gewöhnliche Erfahrungen und Beobachtungen zum Tragen, ein Können und Wissen, das auch in den ärmsten Familien vorhanden ist. Auf diese Weise bringen Kinder aus ärmeren Schichten Schulwissen und familiäre Erfahrung in einen sinnvollen Zusammenhang. Dadurch wird die Ungleichheit der Schülerin­nen und Schüler vor dem Schulwissen gemildert.

Mehr noch: La main à la pâte schlägt eine vielseitige Pädagogik vor, und damit vielleicht eine realistische Auffassung von der "differenzierten Pädagogik".

Eine breite Palette pädagogischer Stile kommt in Frage – Frontalunterricht, kleine Gruppen, Einzelunterricht; die Herangehensweisen verändern sich: Es wird gelernt mittels Tätigkeiten, mittels Sprache, mittels schematischer Dar­stellungen, in der Diskussion und durch Lektüre. Zu jedem Begriff, zu jeder Kenntnis kommt man auf verschiedenen Wegen, die nacheinander beschritten werden. Auf diese Weise finden sehr unterschiedliche Kinder ihren eigenen Weg, ohne dass der Lehrer sich den Alptraum zumuten muss, für jedes Kind ein "psycho-soziologisches Profil" zu erstellen, um ihm die passende Arbeit geben zu können.

Vielfalt der Tätigkeiten

Die Vielseitigkeit betrifft auch den Rhythmus. Die Kinder ermüden weniger wegen der im Stundenplan festgelegten Rhythmen, wie die Chronobiologen zu wissen glauben, sondern wegen der Monotonie des Tagesablaufs in der Klasse, wenn sich die Aufmerksamkeit andauernd auf das richtet, was der Lehrer sagt. La main à la pâte variiert in kurzen Zeitabständen; das hilft, Müdigkeit und Zerstreutheit zu vermeiden. Die Tätigkeiten wechseln, aufre­gend und gemeinsam die einen, konzentriert und individuell die anderen, harte Arbeit die einen, ruhiger die anderen: Man macht Versuche, man schweigt, man schaut, man notiert, was passiert – man diskutiert, man wird lebhaft – dann wieder konzentriert man sich auf eine Beobachtung; man schreibt, zeichnet, man arbeitet mit Sorgfalt. Man gibt zu lesen auf, korrigiert, schickt eine E-Mail. Kinder sind wie Erwachsene: Unabhängig von der Tageszeit ermüden sie wesentlich weniger, wenn sie sich für das, was sie machen, interessieren, wenn die Arbeitsformen und die Aufmerksamkeitsintensität wechseln. Wenn sie sich mit anderen Kindern zu gegebener Zeit austauschen und sich zu anderen Zeiten ruhig auf ihre persönliche Arbeit konzentrieren können.

Die naturwissenschaftlichen Beschäftigungen erleichtern den gemeinsamen Unterricht von Kindern unterschiedlichen Alters und mit verschiedenem Bildungsstand – zum Beispiel in ländlichen Schulen. Zu den Unterschieden zwischen den Kindern passen die vielfältigen Aspekte der Arbeit, ihr persön­liches Fortkommen wird durch schriftliche Arbeiten, die jeder einzeln durch­führt, gefördert; Nutzen und Wert der Besonderheit jedes Kindes kommen bei der Arbeit an den Versuchen zum Tragen. Die Vielfalt der Arbeitsformen hilft Kindern mit unterschiedlichem familiärem Hintergrund, mit unterschiedlichen Vorlieben und Fähigkeiten ihren Weg zum Lernen zu finden.

Und doch bezieht sich diese Pädagogik auf etwas, was über die Unterschiede hinausgeht: auf den Ausbau einer jenseits der Individuen und der Klasse gül­tigen Kultur.

Ein fachlicher Zugang, ein universalistisches Vorhaben

Weil der Zugang bei La main à la pâte ein fachspezifischer ist, weil es darum geht, Naturwissenschaften zu unterrichten, und Forschergeist für unsere modernen Gesellschaften entscheidende Bedeutung hat, verleiht La main à la pâte dem Mosaik der pädagogischen Maßnahmen einen Sinn, lässt die Summe der Versuche, die Schule erfolgreicher und gerechter zu gestalten, zu einer Ganzheit werden. La main à la pâte möchte die organisatorischen Maßnahmen auf ein kulturelles Ziel hin bündeln, ihnen ihren wahren pädagogischen Wert zukommen lassen. Die Gerechtigkeitspolitik in sozial schwachen und Brenn­punktsgebieten (ZEP), die denen, die weniger haben, mehr gibt, denen mehr Mittel zur Verfügung stellt, die weniger Möglichkeiten haben, findet ihre Recht­fertigung im Materiellen, aber genau so wichtig ist das Bestreben, Chan­cen­gleichheit für alle in der Schule herzustellen, und an diesem Ziel auch wirklich festzuhalten. Der naturwissenschaftliche Unterricht ist in verschiedener Hin­sicht entscheidend: sowohl für die Elitenbildung, für Bildung und Verantwor­tungsbewusstsein der Mitbürger, als auch für die grundlegende Kultur aller. Das Ziel ist universalistisch, der naturwissenschaftliche Unterricht um­schifft die Klippe einer Verelendungspolitik, die für die "Vorstadtschulen" die Ziele niedriger hängen möchte: Er verringert gleichzeitig das Hauptrisiko einer Zwei-Geschwindigkeiten-Schule, auf die die gegenwärtigen Probleme im Gro­ßen und Ganzen hinauslaufen.

Während alles, Herkunft, Milieu, Sprache, Meinung oder Lebensweise die Menschen tendenziell auseinander bringt, wirken die Naturwissenschaften einend, denn sie sind für alle dieselben. La main à la pâte setzt darauf, dass die Naturwissenschaften, die heute eine selektive Kultur und Instrument eines sozialen Elitismus sind, eine bürgernahe Kultur werden können, die die Men­schen dazu bringt, sich gemeinsam mit der Komplexität der modernen Welt auseinander zu setzen. Eine realitätsnähere, pragmatische, kritische Kultur.

Experimentieren, nachforschen

La main à la pâte ist mit den Händen dabei

Viele Naturwissenschaftler beklagen sich heute einhellig, dass unser Unterricht in den experimentellen Wissenschaften zu wenig experimentell sei; zu sehr auf Mathematik ausgerichtet, zu formalistisch, zu dogmatisch, sodass es ihm nicht gelingt, die Entstehung wirklich experimenteller Fähigkeiten zu fördern, eine Intelligenz des Tuns, die Gewohnheit, das Denken mit der konkre­ten Realität zu konfrontieren, den Sinn für das tastende Versuchen und das Infragestellen.

Dabei geht es um tiefgründiges Wissen, nicht nur über wissenschaftliche Er­gebnisse, wie sie im Lehrbuch dargestellt werden, sondern auch über die Wissenschaft selbst, wie sie sich mit dem Infragestellen der Realität und in Auseinandersetzung mit dem Unbekannten entwickelt. Wenn aber das natur­wissenschaftliche Wissen wie logische Wahrheiten von der unfehlbaren hohen Autorität (des Gelehrten im weißen Kittel) herniederregnet, werden vielleicht Kenntnisse vermittelt, aber man induziert gleichzeitig eine Unkenntnis dessen, was die experimentellen Wissenschaften tatsächlich ausmacht. Es geht darum, in das Wissen um das Wahre den zögernden Schritt einzubeziehen, der zum Wahren hinführt: Das geschieht im Dialog mit dem Experiment. Es geht darum, eine Beziehung zum Wahren zu ermöglichen, die es erträgt, das bisher als wahr Geltende in Frage zu stellen, sobald eine paradoxe Tatsache auch bestbegrün­dete Gewissheiten in neuem Licht erscheinen lässt.

Deshalb ist La main à la pâte "mit den Händen dabei". Die Kinder werden vor die realen Gegenstände gesetzt, sie erfahren, was passiert, experimentieren: Verstehen heißt erst einmal staunen, tun und wieder tun, vorwegnehmen, ändern, nachsehen, wohin das führt... Der Ausdruck "La main à la pâte" ist eine Übersetzung des amerikanischen "Hands on", "Hands on – Inquiry". Damit kommen wir zu dem anderen entscheidenden Aspekt der Herangehensweise, der "Inquiry" – Untersuchung, Nachforschung, Suche nach Beweisen für die Hypothese, die man prüfen möchte. Wenn man die Kinder zu einer experimen­tellen Herangehensweise hinführen möchte, will man sie dazu bringen, über ihr Handeln nachzudenken, die Wirkung dessen was sie tun vorherzusehen. Es handelt sich nicht einfach darum, etwas in den Händen zu halten: Naturwis­senschaftliches Handeln bedeutet auch, auf der Suche nach dem Beweis geduldig Umwege gehen.

Untersuchungen für ein Grundwissen

Es gibt kein Entweder-oder: "Inhalte" oder "Vorgehensweisen", Lehrplan erfüllen oder sich Zeit zum Experimentieren nehmen, Wissen vermitteln oder sich aktiver Pädagogik verschreiben. Es kommt immer nur darauf an, dass die Kinder lernen, naturwissenschaftliche Fragestellungen zu entwickeln und Probleme durch Versuche und Überlegungen zu lösen; es ist wichtig, dass ihre Experimente auch zu Ergebnissen führen – die entscheidende Rolle der Lehrenden besteht darin, die Kinder anzuleiten, damit sie durch ihre Unter­suchungen erfolgreich Wissen erwerben.

Nun braucht der Lehrer selbst auch Werkzeug und Gebrauchsanweisun­gen, damit er die Aufgabe von beiden Seiten her anpacken kann: Einerseits die Kinder zu unterstützen, damit sie mit lebhaftem, wirklich aktivem Heran­gehen ihr Wissen aufbauen können; andererseits dafür zu sorgen, dass dieses, unter Anleitung des Lehrers erworbene Wissen ein zusammenhängendes und in sich schlüssiges System von Kenntnissen bildet, ein naturwissenschaft­liches Grundwissen, das sich um Schlüsselbegriffe und Grundfähigkeiten ord­net. Auf längere Sicht kann man sich vorstellen, dass hierzulande, wie in den Vereinigten Staaten, unter Naturwissenschaftlern ein Bewusstsein ent­steht, das all diejenigen zusammenbringt, die das Problem eines Elementar­unterrichts und seiner Standardvorgaben etwas angeht: Wissenschaftler müssen sagen, was ihnen die Theorien und Ordnungssysteme der gegenwär­tigen Wissenschaften zu sein scheinen, Didaktiker müssen herausfinden, was sich davon für die Kinder eignet, Pädagogen und die für Bildung und Erziehung Verantwortlichen müssen bestimmen, was konkret umgesetzt wer­den kann. Erst nach einer solchen sorgfältigen Konzertation ist man in den Vereinigten Staaten zu "standards" gekommen, das heißt zu den notwendigen Vorgaben für einen anspruchsvollen Unterricht.

Ein Spiel, bei dem man das Staunen lernt

Die Naturwissenschaften, sagt ein Kind, sind wie ein Spiel, aber ein sehr schweres Spiel. Ein Spiel mit vielen Fallen, das Konzentration und Mühe ab­verlangt. Ein Spiel, widerborstig wie auch die Wirklichkeit, um die es geht. Im Gegensatz zu dem leichten Spiel, Fernsehen zu gucken, oder auch zu jenem Spiel ohne Einsatz, das darin besteht, in einem lustigen Experiment nach­träglich zu zeigen, dass der Lehrer tatsächlich die Wahrheit gesagt hat, und die Dinge sich tatsächlich so abspielen, wie man sie ins Heft geschrieben hat.

Kinder, die sich mit Gegenständen befassen und mit Geräten experimentieren, führen eine ihnen zwar angemessene, aber darum nicht weniger wirkliche Untersuchung durch, die zu einem Ergebnis führt. Ganz allein könnten sie das nicht. Die zurückhaltende aber aufmerksame Anleitung des Lehrers spornt sie an, zu sehen, aufmerksam zu beobachten, zu beschreiben, was sie sehen und Meinungen auszutauschen. Nur durch die regelmäßige Beschäfti­gung mit Naturwissenschaften gewöhnt man sich, oder vielmehr verliert man nicht die Gewohnheit, auch über die vertrautesten Vorkommnisse zu staunen. Warum wachsen die Pflanzen? Ernähren sie sich und wenn ja, von was? Was unterscheidet Tiere, Pflanzen und Menschen? Und was passiert, wenn ich esse? Was kann man tun, um Antworten zu finden?

Beobachten lernen, die wesentlichen Fragen herausfinden

Es ist nicht einfach, aufgrund einer Beobachtung zu einer Frage zu kommen – zu einer wesentlichen Frage – oder auch von einer Frage zu einer Beobach­tung. Was sieht man, das schwer zu verstehen ist, was bedarf der Erklärung? Worauf kommt es tatsächlich an?

Beobachten ist schwieriger, als man gemeinhin annimmt. Es fängt immer damit an, dass man nichts sieht, dass man etwas Wirres oder Verwickeltes sieht, oder dass man nicht sieht, was doch ins Auge springt; wenn man versucht zu beschreiben, verliert man sich in malerischen Einzelheiten... Kinder haben zwar eine überquellende Fantasie, um sich im pittoresken Detail zu verlieren, aber sie sind auch gute Beobachter, denn sie haben noch nicht resigniert wie die Erwachsenen, die die Dinge einfach nehmen, wie sie sind... Staunen, beschrei­ben, schematisieren, zerlegen, bedeutsame Einzelheiten erkennen, ist Arbeit. Sich mit Naturwissenschaft beschäftigen, bedeutet erst einmal sehen; dann kommt der Versuch, mit Worten etwas zu konstruieren, was man nicht sieht. Am Ende sieht man jedoch viel interessantere Dinge, als auf den ersten Blick. Die Arbeit der Kinder in kleinen Gruppen, die Anleitung des Lehrers regen die Aufmerksamkeit an und lenken sie: Es tauchen die wesentlichen Fragen auf. Die Kinder lernen sorgfältig zu beobachten, indem sie sich gegen­seitig Fragen stellen, indem sie aufschreiben und schematisch darstellen, was sie sehen, wie sie sich das erklären, was sie voraussehen. Sich mit Natur­wissenschaften beschäftigen heißt die Askese des Staunens entdecken.

Die Anleitung des Lehrers

Aber wie bringt man die Kinder dazu, zu sehen, und wie ermuntert man sie, sich mit dem was man sieht, nicht zu begnügen? Ein schönes Experiment in einem Buch zu betrachten, reicht nicht. Die Kinder lernen viel besser durch Selbermachen; doch das Tun muss von Worten begleitet sein, die Handgriffe der Kinder erhalten ihren Sinn durch Worte, durch ihre eigenen Worte. Ein Versuch bedeutet nicht einfach "mit den Händen dabei" zu sein, sondern ist auch eine Untersuchung, die über das Tun zum Denken führt.

Man hilft den Kindern sehr beim Nachdenken, wenn man möglichst einfache Fragen stellt. Der Lehrer ist hier eine Art Orchesterdirigent, der den Austausch der Kinder untereinander auf einen Lernerwerb hin dirigiert. Beispiel: Die in Kindergarten und Vorschule oft gemachten Versuche zu Dingen, die im Wasser entweder schwimmen oder untergehen. Die Anregung ist nicht schwer: Schauen, tun und wieder tun, auf einfache Fragen antworten – Was wird passieren? Worauf kommt es an? Wie denkst Du, dass das gehen wird? Die Kinder finden bald heraus, dass bestimmte Formen und bestimmte Stoffe schwimmen und andere untergehen; aber sie gehen weiter, und es gelingt ihnen, mit ihren eigenen Worten auszusprechen, dass es eher auf die Verbin­dung von einer Form und einem Stoff ankommt. Die Knete in Form einer Kugel geht unter; wenn sie zu einer flachen Scheibe geformt wird, schwimmt sie; das Plastikschälchen schwimmt, aber eine Spielmünze, die auch aus Plastik ist, geht unter.

Dank der Fragen des Lehrers lernen die Kinder besser zu beobachten, sie suchen nach Erklärungen; sie entwerfen Versuche, um ihre Überlegungen zu beweisen; sie fragen sich gegenseitig aus, sie argumentieren, während sie herumhantieren; sie geben dem Versuch eine Form, durch Zeichnungen, Be­schreibungen, Erklärungen.

Langwierige Umwege gehen lernen

Jedes Kind durchläuft in der Gruppe vier für seinen Wissenserwerb wichtige Momente: Es gelingt ihm, die am besten passende Frage zu stellen; es führt die Untersuchung durch; es beantwortet die Frage; es teilt mit, was es sieht oder denkt. Vier Momente, die nicht linear aufeinander folgen, sondern wieder­kehren, sich kreuzen, sich vereinen.

Das braucht Zeit. Das Kind tastet sich heran, versucht verschiedene Wege; es braucht Zeit, um seinen Versuch zu Ende zu bringen und Gedanken, Vorschlä­ge, Hypothesen zu entwickeln. Die Anleitung des Lehrers ist ganz wesentlich, aber besteht nicht darin, Etappen zu überspringen und die Antwort zu verraten, oder Fehler auszumerzen oder zu verhindern, sie besteht vielmehr darin, die Fehler für den Lernerwerb zu nutzen. Er spornt das Kind in seiner Vorgehensweise an, rückt das Endziel des Versuchs in den Mittelpunkt (denn mit sieben oder acht Jahren vergisst man schnell, was man eigentlich wissen wollte, wenn der Versuch einen gefangen nimmt).

Das Kind braucht Zeit, um Kenntnisse zu erwerben, die nicht nur reine Infor­mationen sind, und es braucht auch Zeit für die Denkprozesse zur Einbindung dieser Kenntnisse.

Eine Aufgabe erledigen, ein Problem lösen, einen Versuch durchdenken

Es ist heutzutage selten, dass an die permanente Anwesenheit des Fern­sehens gewöhnte Kinder den Wert geduldigen, eifrigen und schließlich erfolg­reichen Bauens erfahren; das Fernsehen liefert ihnen sogar das Bild, das sie sich von der Arbeit in der Schule machen: blitzschnell die Information liefern, wie in "Fragen an den Gewinner" ("questions pour un champion", französische Quizsendung, bei der es auf die Schnelligkeit der Antwort ankommt). Allzu oft halten sie die Arbeit in der Schule für Routine, langweilig, sinnlos, eine Arbeit, die man hinter sich bringen muss, weil das eben das Handwerk des Schülers ist. Nur, eine Schule, die den Kindern beibringt, sich einfach autoritären Vorschriften zu beugen, ist eine Schule, die einen bürokratischen Konformismus ausbildet. Man tut, was man zu tun hat, den Vorschriften entsprechend, ohne sich zu fragen, wozu die Tätigkeiten dienen, welchem Gesamtziel sie zuzuordnen sind.

Die Kinder daran zu gewöhnen, eine reale, komplexe Sachlage zu durchdenken, aus ihr ein zu lösendes Problem zu machen, und nicht aufzugeben, bevor nicht das Wesentliche geklärt ist, ist eine wichtige erzieherische Aufgabe. Sie bedeutet, ihnen beizubringen, über ein Experiment nachzudenken und sich nicht mit einfachen, sinnlosen Routineaufgaben zufrieden zu geben. Die Herausforderung ist beträchtlich größer als das Streben nach einem schönen Schreibstil, in dem die Schule von Jules Ferry im Wesentlichen das "Streben nach gutgemachter Arbeit" sah.

Sowohl im Hinblick auf die Bedeutung aktiver Mitbürgerschaft, auf emanzi­piertes Zusammenleben als auch auf die Gestaltung der modernen Arbeitswelt sind wir vor diese Aufgabe gestellt.

Bei La main à la pâte ermuntert der Lehrer die Kinder immer dazu, das was sie denken, in Versuchen zu prüfen und über das, was sie in Versuchen tun, nachzudenken. "Warum tust Du das? Sag mir, was Du herausfinden wolltest? Was bedeutet das in Bezug auf das, was wir herausfinden wollten?"

Die Dynamik der Kindergruppe, die Neugier auf Experimente, die Anleitung durch den Lehrer, der das Ziel des Tuns in den Mittelpunkt rückt, machen aus den naturwissenschaftlichen Aktivitäten eine Schule mit begeis­ternden Anforderungen, wo man lernt, Probleme zu lösen und über sein Tun nachzudenken, statt nur Schulaufgaben zu machen.

Wissen, das zu mehreren erarbeitet wird

Das Kind steht nicht allein vor den Experimenten. Wenn es sich sein Wissen erarbeiten soll, soll es das nicht nur aus eigener Kraft und ohne Hilfe tun: Es arbeitet immer mit anderen Kindern zusammen und wird von dem Lehrer angeleitet.

In der kleinen Gruppe können die Kinder ihre Ansichten über das, was bei einem Versuch passiert, miteinander teilen. Denn wenn man allein ist, ist man nicht sehr erpicht darauf, seine anfänglichen Ideen in Frage zu stellen. Ge­zwungen sein, seine Ansicht anderen darzustellen, sich mit Argumenten und Beweisen zu rechtfertigen, öffnet den Weg zur Versachlichung, zum kritischen Zugang. Man fängt an, vernünftig zu denken, weil man bedrängt wurde, weil man über eine Meinungsverschiedenheit hinwegkommen musste. Nichts bringt anfängliche Gewissheiten eher ins Wanken, als die Auseinandersetzung mit einer Kindergruppe.

Der Lehrer ist da, um die Kinder auf diesem schwierigen Weg anzufüh­ren: ihnen Fragen zu stellen, sie aufzufordern, Widersprüche zu beachten, sie zu klaren Aussagen anzuspornen. Anstatt selbst viel zu erklären, treibt er die Kinder an, ihr Denken zu entwickeln, indem sie ihre nicht übereinstimmen­den Erklärungen zum Ausdruck bringen und begründen.

Einen Versuch aufbauen

Wir verwenden die Ausdrücke Experiment und experimentelle Untersuchung im Lauf einer Unterrichtsstunde auf mehreren Stufen. Am Anfang müssen die Kinder ein wenig nach eigenem Gutdünken handeln können, um sich heranzu­tasten, zu sehen, was passiert, ein wenig in alle Richtungen zu sondieren – auf diese Weise machen sie sich mit Materialien und Gerät vertraut, finden heraus, wozu dies oder jenes zu gebrauchen ist. Das ist ein erstes Beobach­ten. Dann gibt es ein etwas konzentrierteres Experimentieren, man probiert aus, man möchte sehen, wohin es führt, man verändert leicht, man vergleicht: Dabei kommt man auf Ideen. Und schließlich ist da das geplante entscheidende Experiment. Man hat Ideen, wie ein Phänomen zu erklären ist, man ist sich nicht einig, es gibt verschiedene Hypothesen – man plant ein Experiment und baut es auf, um zwischen den Hypothesen zu entscheiden. Eine experimentelle Untersuchung kann aus einer Reihe von Versuchen bestehen, wobei jeder Ver­such dazu dient, eine Hypothese zu bestätigen oder zu widerlegen.

Es ist ein interessanter Aspekt der Naturwissenschaften, dass ein entschei­dender Versuch im Allgemeinen ein Versuch ist, der eine Hypothese widerlegt – was in den Augen der Kinder als ein fehlgeschlagenes Experiment gewertet wird, als ein Versuch, der nicht geklappt hat. Erst wenn die Experimentiertätig­keit durchdacht ist, wenn sie in eine Überlegung eingebunden ist, können sie den "Fehlschlag" als einen Erkenntnisgewinn verstehen: Man weiß nicht, ob die anderen Hypothesen richtig sind, aber wenigstens weiß man, dass diese es nicht ist. Es ist nicht leicht für Kinder, diesen langen Umweg über einen Gültig­keitsbeweis zu gehen, wenn sie unmittelbar eine Antwort auf eine Frage haben wollen. Dadurch, dass er keine Antwort gibt, sondern die Kinder anspornt, Hypothesen zu finden und den langen Weg über den Gültigkeitsbeweis einzu­schlagen, lehrt der Lehrer sie die Geduld zum Umweg, die Kraft zur Vor­hersage, den Stolz auf ein sorgfältig erarbeitetes Ergebnis.

Das Verdikt des Experiments annehmen

In der naturwissenschaftlichen Untersuchung erleben die Kinder, wie sich alle auf eine wissenschaftliche Aussage einigen können: durch einen gut durch­dachten und aufgebauten Versuch, der der Sache auf den Grund geht und über die Hypothesen entscheidet. Die Kinder lernen etwas Wichtiges über die Naturwissenschaften: Die Wahreinheiten werden konstruiert und hängen dennoch nicht allein von unserer Entscheidung ab, sondern von etwas, das außerhalb von uns ist, und dem wir Fragen zu stellen lernen müssen.

In den kleinen Arbeitsgruppen machen die Kinder angesichts des Aufbaus ähnliche oder auch unterschiedliche Beobachtungen. Es geschieht etwas und jeder hat dafür eine Erklärung. Jeder kann seine Idee vertreten und sagen, warum er denkt, dass er weiß, wie es geht; die Kinder können disku­tieren, sich streiten, argumentieren, ihre Uneinigkeit auf die Spitze treiben – der Streitgegenstand verhält sich relativ neutral – der Streit ist jedoch ein anderer als die Konflikte in den Hofpausen. Wie von selbst lernen die Kinder ruhig und mit einer gewissen Disziplin zu diskutieren.

Wie aber entscheidet man? Wer oder was wird überzeugen können? Nicht der, der am besten reden kann oder am lautesten schreit, auch nicht die originellste oder verführerischste Idee; weder die urteilende Autorität des Lehrers noch die Ehrfurcht vor dem Gedruckten und auch nicht der Wille der Mehrheit. Allein der experimentelle Gedankengang, das überlegte Experiment entscheiden und bringen uns der Wahrheit näher.

Wir zögern absichtlich nicht, hier von Wahrheit zu sprechen, allerdings im Gedanken an eine bescheidene, sich ihrer Grenzen bewussten Vorstellung von Wahrheit. Die demokratische Schule muss kritisches Denken entwickeln, und kritisches Denken braucht eine Vorstellung von Wahrheit. In den Naturwissen­schaften geht es nicht nur um kritisches und strenges Denken, um Verfahren und Techniken: Ihr Ziel ist es auch, eine objektive Darstellung der Welt auf­zubauen, die als solche allgemeine Anerkennung erfährt.

Ein Vermögen und seine Grenzen erkennen

Besser zu verstehen bedeutet, die Macht von Beobachtung und Erklärung zu entdecken, aber gleichzeitig auch die Grenzen zu erkennen; die Aufgabe bes­ser zu meistern bedeutet die Macht des Benennens, der Beschreibung, des Erklärens und gleichzeitig die Grenzen dieser Macht zu entdecken. Eine sche­matische Darstellung zeigt die wesentlichen Elemente, zwingt aber gleichzeitig dazu, andere Einzelheiten zu vernachlässigen. Ein Vorkommnis zu erklären bedeutet notwendigerweise, dass andere Phänomene im Dunkeln bleiben. Was will man betonen? Was ist wichtig, was zählt wirklich? Kann man die Dinge nicht auch anders darstellen? Was bringt eine Zeichnung, eine Beschreibung an zusätzlicher Information? Im Augenblick will man dieses eine Phänomen verstehen und lässt den Rest beiseite. Vergessen wir jedoch nicht, dass ein Erklärungsmodell nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit erklärt, den nämlich, den man herausgegriffen hat: Ziehen wir daraus keine verallgemeinernden Schlüsse, machen wir daraus keine alles erklärende Weltvision – aus derartigen Entgleisungen entspringen die ideologischen Fehlentwicklungen.

Man entdeckt, dass man sich mit Erklärungsmodellen einen Zugriff auf die Welt verschaffen kann, aber gleichzeitig entdeckt man auch, dass diese Modelle vielseitig, verbesserungsfähig, unvollständig sind, dass ihre Gültigkeit begrenzt ist, und jede Lösung neue Fragen aufwirft.

La main à la pâte nähert sich den Naturwissenschaften über das Experimentie­ren, ist eine "zu erfindende" Annäherung an diese Wissenschaften und nicht eine Vorstellung oder Darstellung von unumstößlichem, dogmatischem "bereits Entdecktem". Wir bauen darauf, dass eine naturwissenschaftliche Erziehung dieser Art zur besseren Bildung der naturwissenschaftlichen Eliten beiträgt, weil sie ein Gegengewicht zu übertriebenem Formalismus darstellt, die Quali­täten pragmatischen Denkens zur Geltung bringt und lehrt, sich der Realität zu widmen und die Wahrheit in gemeinsamer Arbeit zu konstruieren. Diese Art der Bildung kann aber auch dazu beitragen, realistisch denkende, rationale, wiss­begierige und kritische Köpfe zu fördern, kurzum Mitbürger, die weniger leicht auf einfältige Ideologien hereinfallen.

Naturwissenschaftliche Tätigkeit und die Beherrschung der Schriftsprache

Wir wissen, wie viel der Aufschwung der experimentellen Wissenschaften der Entwicklung und den Mitteln einer Schriftkultur verdankt, eine Schriftkultur, die Erfahrung formalisieren kann, Berichterstattung möglich macht, das Anekdo­tische vom Wichtigen trennt, über das hic et nunc einer punktuellen Beobach­tung hinausgeht, hin zum verallgemeinerbaren, reproduzierbaren Experiment; eine Schriftkultur, in der die Information zirkuliert, in der Überlegungen und Argumente geprüft, Experimente wiederholt und Hypothesen diskutiert werden. Kinder in den Naturwissenschaften zu unterrichten heißt also auch, sie in die sprachliche Praxis und ihre Verfahren einzuführen, die von der Übung im Argu­mentieren und Überlegen nicht zu trennen sind.

Zugleich bringt man den Kindern eine begeisternde Art und Weise bei, ihre Sprache zu entwickeln, auch die schriftliche. Nicht um dem Lehrer eine Freude zu machen oder um eine gute Note zu erzielen, sondern auch und vor allem um sich anderen verständlich zu machen, um die Untersuchung voran zu treiben und zu einem Ergebnis zu kommen, das sich mitteilen lässt. Man muss die passenden Wörter finden, muss gut gegliederte Sätze formulieren, mit durchdachten Überlegungen überzeugen, mit Hilfe einer übersichtlichen sche­matischen Darstellung erklären. Die Beziehung zur Norm entsteht aus der Untersuchung heraus, die Regeln der Lesbarkeit, der Schlüssigkeit und der Sprachgewandtheit erscheinen nicht als beliebige Normen, die von dem Lehrer mit dem Ziel aufgestellt werden, die Schüler zu quälen.

Über das Schriftliche in allen seinen Formen

La main à la pâte hält die Kinder zu dauernder Tätigkeit an, sie haben dabei aber auch immer einen Stift oder die Tastatur zur Hand!

Viele Schriftstücke machen die Runde. Da ist zunächst ein Brief der/des Leh­renden an die Eltern, der erklärt, was man sich vorgenommen hat; dann regel­mäßige kurze Mitteilungen, um sie zu bitten, die Kinder etwas beobachten oder einfaches Material mitnehmen zu lassen. In der Klasse hängen gemeinsam her­gestellte Plakate, Träger der Erinnerung an ausgeführte Arbeiten: Man liest nach, was der Ausgangspunkt war und hat immer die auslösende Fragestellung vor Augen. Die Plakate sind das Ergebnis gemeinsam zu Ende gebrachter Arbeit. Es kann ein Klassenbuch geführt werden, in dem zu lesen ist, was sorgfältig ausgeführt und ebenso sorgfältig niedergeschrieben und korrigiert wurde – da gibt es keine Rechtschreibfehler, und schematische Darstellungen werden erst nach kritischer Begutachtung und nach Qualität ausgewählt.

Man kann E-Mails verschicken, um über die Entfernung zu erklären, was man macht, um eine Frage zu stellen, um eigene Erfahrungen mitzuteilen, andere um ihre Meinung zu bitten, die eigene Lösung vorzubringen.

Zu diesen vielen schriftlichen Ausdrucksformen gehört auch das Versuchsheft, das jedes Kind für sich führt und das während des ganzen Schuljahrs, während der ganzen Schulzeit seine Fortschritte begleitet.

Die Worte des Kindes

Das Versuchsheft ist eine schriftliche Form unter zahlreichen anderen Schrift­stücken, die ihm jedoch nichts von seiner Eigenart nehmen. Es wird von jedem Kind geführt und ist nur für die naturwissenschaftliche Tätigkeit da, Tag für Tag. Was darin steht, ist vom Kind selbst geschrieben: Es ist kein Heft für die gemeinsame Zusammenfassung, sei sie die des Lehrers, sei sie das Ergebnis einer "gemeinsamen Synthese" (falls die Zusammenfassung doch ins Versuchsheft eingeklebt wird, darf sie nicht als die Norm im Gegensatz zum eigenen "Gekritzel" erscheinen).

Es ist wichtig, dass das Kind seine eigenen Worte gebraucht: Das Wissen, das es aufbaut, beruht auf dem Verstehen der eigenen Tätigkeit.

Im Versuchsheft findet ein Übergang statt: Das Kind geht von der gelebten, der intuitiven, in der Gegenwart des Augenblicks empfundenen Erfahrung zur Aufzeichnung über, die fortdauert, die zu einer anderen Zeit und unter anderen Umständen gelesen werden kann, vielleicht auch nicht nur von einem selbst. Doch damit daraus eine schriftliche Arbeit wird, eine Ausarbeitung der eigenen, experimentellen Erfahrung, muss das Kind gewillt sein, selbst naturwissen­schaftlich zu schreiben, mit Worten, die es zu gebrauchen weiß. Es soll keinen Text liefern, der zwar schön und vollkommen ist, aber nicht erkennen lässt, was es verstanden hat.

Sprechen um herauszufinden, schreiben um nachzudenken

Man ist meist gewohnt, das Schriftliche als das zu betrachten, was am Schluss der Unterrichtsstunde kommt und das Wissen formvollendet festhält, so wie es zu Hause gelernt werden soll: entweder als Zusammenfassung durch den Lehrer,!! oder als gemeinsame, in mündlicher Aussprache mit den Kindern zu Stande gekommene,!! Niederschrift. Damit wird jedoch die Bedeu­tung anderweitigen Gebrauchs der Sprache, der mündlichen wie auch der schriftlichen, eher unterschätzt. Wenn die Kinder in kleinen, Zweier- oder Vierergruppen arbeiten, ist der Austausch untereinander gerade da konstruk­tiv, wo man sich nicht einigen kann; die Kinder sind gezwungen, sich Erklä­rungen zu suchen und nachzuforschen (ruhig etwas geräuschvoll – aber nicht zu sehr!). Beim Schreiben geht es auch um das Suchen, um das Klären der Gedanken und um das Nachdenken und Vorhersagen. Man kann im Heft notie­ren, was man tun wird, was man sich vorstellt, das geschehen wird. Schreiben nicht nur zum aufbewahren, sondern auch zum nachdenken. Deshalb hat das Kind dauernd sein Versuchsheft zur Hand.

Bei La main à la pâte wird ständig zu fast gleichen Anteilen gehandelt, gespro­chen und geschrieben. Man nimmt keine Handlung vor, ohne nachzudenken, und man überlegt beim diskutieren und beim Schreiben. Das Schreiben gliedert sich in mehrfacher Weise, in mehr oder weniger großer Nähe zum Sprechen, mehr oder weniger ausgearbeitet und auf die Norm einer vollendeten Darstel­lung des Wissens gebracht. Das Schreiben hat hier nicht nur die Funktion der "schriftlichen Spurensicherung", der Zusammenfassung zum Lernen, sondern kehrt auf verschiedenen Ebenen des Wissensstands wieder.

Schematische Darstellungen, Grafik und Sätze

Sehr oft meint man bei der naturwissenschaftlichen Tätigkeit, getreu einer trockenen, wissenschaftlich strengen Ausdrucksweise, dass die Kinder so wenig Worte wie möglich schreiben sollten, man lässt sie in erster Linie zuvor festgelegte Rubriken ausfüllen: Anzahl voller Tassen, Höhe des Wasserspie­gels. Gewiss erleichtern Tabellen das Eintragen in Spalten, eine Standardisierung der Antworten, die Orientierung. Aber sie kommen einer Entwicklung der Überle­gung, die oft gar nicht stattfindet, nicht entgegen. Es ist wichtig, dass das Kind in seinem Versuchsheft in natürlicher Sprache, so wie es das anderen erzählen würde, mit gut gebauten Sätzen zum Ausdruck bringt, was vorgeht und was es denkt.

Es kostet Mühe, in klarer, wohl gegliederter Sprache zu schreiben und die Gedanken niederzulegen. Es spricht dann auch nichts dagegen, zusätzlich Reihen von Ergebnissen in Grafiken, Listen, Tabellen noch einmal einzutragen. Man lernt dabei anderes, man vergleicht und hebt andere Aspekte des Expe­riments hervor. Es ist auch wichtig, sich in schematischer Darstellung zu üben und die Niederschrift durch das Schema zu ergänzen, sowie das Schema durch die Schrift.

Soll das Versuchsheft korrigiert werden?

Soll man das Versuchsheft korrigieren? Einerseits muss man genau hinsehen; man kann nicht Fehler in Rechtschreibung und Satzbau gutheißen, so wie man in anderem Zusammenhang in den Naturwissenschaften Irrwege als positiv bewertet. Auf der anderen Seite aber soll das Versuchsheft für das Kind da sein, damit es auf seine Art schreiben kann, was es Interessantes macht; es soll ein Heft des Nachforschens, der Schreibversuche, der Fehler und des Herantastens sein; es darf nicht ein Heft zur Bewertung werden, das mit Ängsten, etwas falsch zu machen verbunden ist... Vielleicht kann man zurück­haltend korrigieren, so dass das Ganze nicht rot durchzogen ist – vielleicht durch ein paar kleine Häkchen, die Rechtschreibfehler kennzeichnen – und den falschen Wortgebrauch korrigieren lassen. Aber zuallererst sollte man auf die Grundgedanken eingehen, die Grundabsicht der Mitteilung diskutieren – wenn man immerzu, seiner Fehler wegen, auf die Form hingewiesen wird, verliert man den Mut zu erzählen! Es braucht seine Zeit, um erst einmal aufzunehmen, zu lesen, zuzuhören, daran zu denken, dass das Kind etwas mitteilen möchte, das verdient, aufmerksam gehört zu werden. Dann erst kann man ihm zeigen, dass sein "Paket" noch interessanter wäre und leichter zu verstehen, wenn es besser geschnürt wäre...

Welche Form soll man für das Versuchsheft nehmen?

Aus der Erfahrung, die im ersten Jahr mit La main à la pâte gemacht wurde, ist ein Versuchsheft entstanden, das seine Vorteile hat. Man kann diese Form übernehmen. Wenn man das jedoch nicht möchte, sind ein paar Grundgedan­ken angebracht: Es ist natürlich wichtig, die Fragestellung, mit der man sich seit mehreren Wochen beschäftigt, zu wiederholen und diejenige, die im Rah­men der heutigen Unterrichtseinheit behandelt wird, hinzuzufügen. Wichtig ist auch das Datum. Den Kindern muss es zur Gewohnheit werden, zwischen wohl gebauten Sätzen und schematischen Darstellungen zu wechseln. Man kann ihnen helfen, systematisch eine bestimmte Anzahl von Angaben aufzunehmen. Man kann zu Anfang vorgedruckte Blätter mit Rubriken verteilen und erst nach und nach die Erstellung den Kindern selbst überlassen.

Falls die Lehrer eine bestimmte Form des Versuchsheftes bevorzugen, zum Beispiel Zeichnungen immer links, Text immer rechts: warum nicht? Dagegen ist unbedingt zu beachten, dass in der Schule im Lehrer-Team Einigkeit herrscht, damit die Kinder von Anfang bis Ende der Grundschule die gleichen Anforderungen erfahren, damit sie wissen, was systematisch am Anfang und am Schluss eines jeden Versuchs zu notieren ist, und sich schnell an eine Form gewöhnen.

Wissenschaftliche und grundlegende Kenntnisse

In der Sekundarstufe lernen die Schüler den mathematischen Formalis­mus der Naturwissenschaften kennen. Oft ergibt sich daraus ein Hindernis für das Verständnis der Naturwissenschaft als theoretisches System von Vor­stellungen von der beobachtbaren Realität. Sie lernen Gleichungen zu lösen, Messungen und Rechnungen vorzunehmen, aber wie viele erleben das Ver­gnügen, die sichtbare und anfassbare Wirklichkeit mit einer rein theoretischen Überlegung zu erfassen, die diese Wirklichkeit verständlich abbildet?

Nutzen wir die Grundschulzeit, wo man sich den Naturwissenschaften vor ihrer Mathematisierung nähert, um das Vergnügen an dieser Art von Weltverständnis zu vermitteln. Helfen wir den Kindern, sich bestimmte Grundvorstellungen und Grundbegriffe der Naturwissenschaften anzueignen, Begriffe aus der Zahl derer, die ihnen leicht zugänglich sind.

Mit diesen Schlüsselbegriffen kommen die Kinder mit Hilfe des Lehrers durch ihre Experimente und Untersuchungen zu "intermediären Vorstellungen". Damit wollen wir sagen zu Begriffen, die den Kindern in ihrem Wortschatz etwas bedeuten, Begriffe, die noch nicht die formalisierten Begriffsvorstellun­gen der Wissenschaft sind, aber doch insofern eine beinahe richtige Näherung sind, als sie verstehen lassen, was vorgeht, und später bei der Konstruktion der korrekten wissenschaftlichen Begriffsvorstellung kein Hindernis darstellen. Zum Beispiel ist, in Sachen geschlechtlicher Vermehrung, der Begriff Samen ein schlechter, weil die Metapher eine falsche Vorstellung vom Hergang der Sache ist, während der Gedanke von zwei Halbsamen, auch wenn er nicht ganz rich­tig ist, doch schon eine bessere intermediäre Vorstellung abgibt.

Ein Vorstellungs- und Begriffssystem, ein schrittweiser Lernerwerb

Es ist vielfach zur Gewohnheit geworden, in den Klassen nur ein paar Unter­suchungsgegenstände aus dem Bereich Naturwissenschaften zu behandeln, und man nimmt mit Vorliebe Gegenstände, die die Kinder offensichtlich inte­ressieren und die relativ leicht zugänglich sind (der Körper, die Tiere, die Keimung, das Wasser, ...). Gegen die Auswahlkriterien Interesse und relativ leichter Zugang ist nichts einzuwenden, nur ist es wichtig, dass über den gesamten Primarbereich ein Lernerwerb aufgebaut wird, der nach und nach eine Reihe der von Wissenschaftlern und Didaktikern festgelegten Schlüsselvorstellungen des zeitgenössischen Wissens umfasst.

Eine naturwissenschaftliche Theorie beschränkt sich niemals auf eine einzige Vorstellung: Eine Theorie ist immer ein System von zusammenhängenden Vor­stellungen, die ihrerseits wiederum durch eine Reihe von Experimenten abgesi­chert wurden. Genauso arbeiten auch die Kinder kontinuierlich fortschreitend, wenn sie sich ein ausgearbeitetes System von vorläufigen Begriffsvorstellun­gen zulegen.

In den Vereinigten Staaten wurde in langer Zusammenarbeit von Wissen­schaftlern, Didaktikern und Lehrern eine kohärente Abfolge von zu lernenden intermediären Vorstellungen entwickelt. Auch in Frankreich müssen wir fortsetzen, was Didaktiker zwar schon in Gang gebracht haben, was sie aber noch nicht genügend in Gestalt passender Unterrichts­werkzeuge zur Verfügung stellen konnten.

Ein Modul des Inquiry-Programms umfasst zum Beispiel im Allgemeinen etwa zwanzig Kapitel, und entsprechend etwa dreißig Einheiten, die jeweils ungefähr eine Stunde dauern: Ein Modul ist einem Thema gewidmet, das ein Vorstel­lungs- und Begriffssystem zu erwerben ermöglicht, mit mehreren Zugängen für jeden Begriff und mit zahlreichen Experimenten. So gibt es zum Beispiel ein Modul "Zustandsänderungen" oder "Elektrizität" oder auch "Flüssigkeiten". Die Module sind relativ unabhängig voneinander, während innerhalb eines Moduls die Abfolge der Unterrichtsstunden sorgfältig nach Gesichtspunkten didakti­scher Forschung durchdacht ist. Zum Beispiel halten die Didaktiker es für fruchtbarer, mit der Untersuchung eines kleinen Motors zu beginnen und nicht mit der Untersuchung einer Batterie, damit ein oft beobachtetes Vorstellungs­hindernis nicht entstehen kann.

Kontinuität und Fortschritt des Lernerwerbs

Obwohl man weiß, wie grundsätzlich der schulische Erfolg davon abhängt, haben Kontinuität und Fortschritt des Lernerwerbs in den vergangenen Jahren vielleicht am meisten gelitten.

Das La main à la pâte-Vorhaben wird oft unter dem Aspekt einzelner Versuche gesehen, aber ein nicht weniger wichtiger Aspekt ist die Kontinuität, die Schlüssigkeit eines Lernerwerbs, der sich über mehrere Jahre erstreckt. Man beschäftigt sich jeden Tag mit Naturwissenschaften, und das Lernen baut sich über die Zeit auf, über mehrere Monate, über ein Jahr, über die gesamte Schulzeit. Jede Unterrichtsstunde bildet zweifellos ein Ganzes, man arbeitet über einen genau bestimmten Gegenstand, aber der Lernerwerb ist auf lange Zeit geplant. Langfristiges Arbeiten bedeutet den Kindern gründlicheren Lernerwerb zu ermöglichen und Lernhindernisse besser ausräumen zu können. Wo soll man anfangen? Und welche Stufen soll man zwischenschalten, wenn die Kinder nicht verstehen? Das sind didaktische Probleme, die sich vorher­sehen lassen: Wenn man langfristig zu einer Begriffsvorstellung kommen will, muss man sich Strategien überlegen.

Auch brauchen die Lehrer Begleitwerkzeug, eine geschickte Auswahl von Schulbüchern, wenn sie naturwissenschaftlichen Unterricht geben sollen, ohne von einem Tag zum anderen alles improvisieren zu müssen; die amerikanischen Schulbücher geben nicht vor, für den Lehrer alle Schwierigkeiten behe­ben zu können, aber sie gestatten, auf lange Sicht zu planen, weil der lang­fristige Lernerwerb gut durchdacht ist.

Eine strategische Planung

In ihrer Ausbildung befassen sich die Studierenden vor allem mit der Vorbe­reitung einer einzigen Unterrichtsstunde; die pädagogischen Arbeitsblätter, wie man sie in den Fachzeitschriften findet, stellen ebenfalls oft nur eine Unter­richtsstunde dar – und bewertet wird man auch nur für eine Unterrichts­stunde.

Also wird auf diese Weise umgangen, was tatsächlich für den Lernerwerb ausschlaggebend ist: der stufenweise fortschreitende Aufbau. Wo geht man voran, wo zurück, wo fängt man wieder an, aber auf andere Weise? Was ist die passende Strategie, die zum Verstehen führt? Womit fängt man an? Gibt es nicht eine günstigere Abfolge, wenn man das Verständnis fördern will, eine Vorstufe, die alles einfacher macht, eine veränderte Reihenfolge, die verhin­dert, dass ein Lernhindernis sich dauerhaft festsetzt? Und wenn einem ein derartiger (vorhersehbarer) Fehler unterlaufen ist – über welchen Umweg lässt sich das Hindernis umgehen? In einer vorgesehenen Reihe von Experimenten müssen nicht unbedingt alle Experimente durchgeführt werden; man kann anpassen, schneller vorgehen, je nach Umfeld, Interessen oder Schwierigkei­ten der Kinder. Aber das Modul gibt einen Ausgangspunkt und einen Endpunkt vor, sowie eine Reihe von Grundschritten, deren Reihenfolge überlegt ist. Diese strategische Sequenzierung des Lernerwerbs löst eine der schwierigsten Auf­gaben des Lehrers: Die Planung einer didaktischen Strategie ist nicht einfach eine Einteilung in Zeitabschnitte, ein einfaches Fortschreiten, ein Abarbeiten des Pensums. Sie verlangt ein gründliches Verständnis sowohl der wissenschaftlichen Begrifflichkeit als auch der zugehörigen Didaktik. Eine solche Forschung auf höchstem Niveau sollte sich in den Schulbüchern, die Lehrer mit den Kindern verwenden, niederschlagen.

Ein System intermediärer Begriffsvorstellungen

Die Bände des Insight-Programms sind die Schulbücher des amerikanischen Gegenstücks von La main à la pâte. Wie hat man dort die naturwissenschaftli­chen Untersuchungsgegenstände ausgewählt und die Sequenzierung des Lernerwerbs gestaltet? Hier sind die Kriterien, die Ihnen einen Eindruck ver­mitteln, wonach man mit diesem Lernerwerb im Grunde strebt.

Sprache und Mitbürgerschaft

Beschäftigt euch mit Naturwissenschaften, um die Sprache besser zu lernen!

In den amerikanischen Schulklassen, auf die La main à la pâte sich bezieht, werden eine Stunde pro Tag Naturwissenschaften unterrichtet und ein Teil des sprachlichen Unterrichts wird den naturwissenschaftlichen Tätigkeiten "aufge­pfropft". Das ist für unsere Verhältnisse viel. Aber man hat dort auch eine andere Ansicht vom Lesen- und Schreibenlernen: Das sind dort keine instru­mentellen Fähigkeiten, die man ohne konkrete Anwendung ausübt, sondern Fähigkeiten, die über dem Gebrauch, oder vielmehr in vielen Anwendungen auf unterschiedlichen Wissensgebieten erworben werden. Mit dieser Art von Texten macht man sich aber nicht auf abstrakte Weise vertraut, nicht nach einer strukturellen Methode, die angeblich immer anzuwenden und auf alle vorstellbaren Fälle zu übertragen wäre. Nehmen wir das Beispiel Beschreibung: Man lernt nicht "die Methode der Beschreibung". Zu beschreiben lernt man anhand von tatsächlichen Beschreibungen auf Gebieten, in denen man die Begriffe und Worte nach und nach begreift, in dem Maße wie man das Gebiet immer besser kennen lernt. Je mehr naturwissenschaftliche Versuche man macht, desto mehr weiß man über die Beobachtungsgegenstände, desto mehr ist man fähig, feinere, nicht triviale Beschreibungen zu geben.

Vorsicht vor dem Rückzug auf die "instrumentellen Grundlagen"

Wenn es aber viele Kinder mit Lernschwierigkeiten in der Klasse gibt, muss man dann nicht die sprachlichen Übungen verstärken? Umso mehr als die Anforde­rungen in der 3. Klasse hoch sind und viele Kinder die Grundfähigkeiten nicht beherrschen.

Die Schule hat Angst vor dem Vorwurf, mit dem sie immer zu kämpfen hat: Sie bringe Analphabeten hervor, die dann später fallen gelassen werden. Viele Lehrer glauben gut daran zu tun, sich auf "das Wesentliche", nämlich Lesen, Schreiben, Rechnen zu konzentrieren und sich dabei auf rein formale Übungen zu beschränken. Aber laufen sie damit nicht Gefahr, die Ursachen für das Versagen noch zu verstärken? Der gegenwärtige Rückzug auf das Lesen, Schreiben, Rechnen ist nur oberflächlich gesehen eine Umkehr zum Herkömm­lichen. Er beschwört im Gegenteil eine nie dagewesene Lage herauf: Die Gefahr des Schulversagens aufgrund eben jener Strategien, mit denen man es bekämpfen wollte, während man nicht wusste, wie man für Kultur kämpfen sollte.

Die gegenwärtige Vorstellung von einer Schule, die sich dem "Grundlernerwerb" widmet, verkennt die Kinder und die Dynamik ihres Lernens: Sie geht davon aus, dass die Grundschule gerade mal die formelle Beherrschung der Sprache zu bewerkstelligen habe, der kulturelle Lernerwerb dann später auf der geleg­ten Grundlage aufbauen werde. Doch das ist eine unzulässig vereinfachende Vorstellung, die zu Schulversagen führt. Denn man konstruiert nicht ein für allemal eine Sprachstruktur, die dann nachträglich an alle Lebenslagen ange­passt werden kann. Man erreicht fortschreitend und langfristig eine bestimmte, immer fachspezifischer werdende Art des Lesens in dem Maße wie man sich systematisch einen bestimmten Texttypus vornimmt und sich dabei die Struk­tureigenheiten, zusammen mit den Wissensgebieten selbst aneignet. Je mehr man auf diesem oder jenem Gebiet weiß, desto besser kann man darüber reden und desto besser gelingt es, die einschlägigen Texte schnell zu lesen.

Man lernt nicht "einfach" Lesen und Schreiben

Der Fauroux-Bericht stellt die "primordialen Kenntnisse" folgendermaßen dar: Das Lesen, Schreiben, Rechnen wird in sehr formeller und allgemeiner Weise definiert als strukturelle Fähigkeit, die unendlich viele praktische Möglichkeiten erzeugt. So beherrsche man das Lesen, wenn man einen Text (irgendeinen Text) mit 1500 Wörtern in sechs Minuten artikulieren und auf fünf Fragen zum Inhalt antworten kann. Man beherrsche das Lesen, wenn man mündlich einen Text (irgendeinen Text) mit 1500 Wörtern zusammenfassen kann; wenn dann der Texttyp angegeben wird, handelt es sich um einen "Beipackzettel zu einem Medikament" oder um eine "Gebrauchsanweisung für ein Haushaltsgerät".

Damit liegt man genau auf der Linie, die seit so vielen Jahren energisch gefor­dert wird: Die Schulen sollen den "Grundlernerwerb" in den Mittelpunkt stellen. Darin ist gewiss der vornehmliche Auftrag der Schule zu sehen. Aber ist man sicher, dass man ihn mit dieser Art "Grundwissen", diesem abstrakt definierten, reinen Lesen, Schreiben, Rechnen erfüllen kann, ohne jegliche systematische Aneignung kultureller Vielfalt? In jedem Alter und für jedermann hängt die Fä­higkeit, einen Text – und sei es nur einen kurzen – zu verstehen und zusam­menzufassen davon ab, in welchem Maße man mit der Materie des Textes und mit den Regeln, nach denen er aufgebaut ist, vertraut ist. Wenn man einen Text über die Ernährung der Frösche leicht verstehen will, muss man mit dieser Art von Schriftstücken vertraut sein – es handelt sich weder um ein Märchen noch um eine Gebrauchsanweisung – aber man muss auch eine Menge Wissen auf diesen Gebieten erworben haben, über Ernährung, über Tiere, über Le­bensräume und Lebewesen. Was einem schließlich ermöglicht alle Arten von Texten zu lesen, ist nicht einfach ein "Lesenkönnen", sondern eine systema­tische Beschäftigung mit vielen Wissensgebieten und vielen Texttypen, in Verbindung mit kulturellem Hintergrund.

Sich gemeinsam Sprach- und Kenntniswelten aneignen

Wenn man Kinder zum Lesen oder Schreiben von Erzählungen, von wissen­schaftlichen Berichten, von politischen Auseinandersetzungen ausbilden möchte, sollte man sie dauerhaft und systematisch über Monate und Jahre mit fortlaufenden Serien von literarischen oder wissenschaftlichen Texten und Streitschriften arbeiten lassen. All das auf Gebieten, mit denen sich ein Wissen aufbauen und ordnen lässt. Jean Hébrard spricht in sehr zutreffender Formu­lierung von "geordneter Abfolge von Vorgängen". Alle "Welten" in der Kultur bauen sich schrittweise als Sprach- und Gedankenwelten auf. Und ebenso schrittweise bereichert sich die Sprache mit vielfältigen und durchstruktu­rierten kulturellen Errungenschaften: Ein wohl gebildeter Kopf ist ein Kopf, der sich einen wohl gefüllten Kopf geschaffen hat.

Wenn es sich jeden Tag mit Naturwissenschaften beschäftigt, diskutiert, auf Plakate und in Versuchshefte schreibt, eignet sich jedes Kind gleichzeitig das Wissen und die sprachlichen Mittel für dieses Wissen an. Tag für Tag meistert es einen immer ausgedehnteren Wortschatz, besser gebaute Sätze, logisch entwickeltere und komplexere Argumente, besser ausgearbeitete Beschrei­bungen. Es wird ihm immer klarer, welchen formellen Zwängen die Kommuni­kation mit anderen unterliegt, es begreift, wie notwendig es ist, einen Schatz an Ausdrucksmöglichkeiten, die den Erfahrungen angemessen und für andere möglichst verständlich sind, zu haben.

Ein etwas vernachlässigter Lernerwerb

Die Schule behandelt bestimmte Funktionen der Sprache, bestimmte Textarten gut, aber sie vernachlässigt andere; vielleicht, weil die zugehörigen pädagogi­schen Hilfsmittel sich kaum durchsetzen. Über die Erzählung, zum Beispiel, wird während der ganzen Schulzeit gearbeitet, auch über ihre verschiedenen Varia­tionen – dichterische und subjektive Erzählung, narrative Fantasie, Chronik der Klasse... Die naturwissenschaftliche Beschreibung wird deutlich weniger betont.

Es gibt einen bestimmten Gebrauch der Sprache, der in der Grundschule wenig geübt wird, obwohl er im weiteren Verlauf der Ausbildung sehr schnell ent­scheidend wird, und auch im sonstigen Leben sehr wichtig ist: das Argumen­tieren, das begründende Reden und Schreiben zu einer Aussage, zum Beweis oder um andere von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Sei es, um eine politische Meinung zu vertreten, eine Beschwerde beim Finanzamt vorzubrin­gen oder um sich für eine Anstellung zu bewerben. Sei es, um zu beweisen, dass das, was man sagt, stimmt, anderen zu zeigen, dass die Sachlage tat­sächlich so ist, wie man sie beschreibt, Gegenargumente zu widerlegen, Ar­gumente anzuhören, in Betracht zu ziehen oder zurückzuweisen, was zurück­gewiesen werden muss. Das Argumentieren ist eine der notwendigsten Fähig­keiten, und eine der am wenigsten verbreiteten. Eine Fähigkeit, die auch die Schule kaum aufbaut, obwohl sie diejenigen, die sie besitzen, hoch bewertet, nämlich diejenigen, die diese Fähigkeit zu Hause im Austausch mit ihren Eltern geübt haben.

Argumentieren, überlegen in den Naturwissenschaften

Bei La main à la pâte lernen die Kinder das Argumentieren. Sie lernen gemein­sam zu überlegen, sie lernen eine Art nachzuforschen, die nicht allein darin besteht, mit den Händen zu arbeiten, sondern auch darin, sich mit Worten mitzuteilen. Auf diese Weise lernen sie mit naturwissenschaftlicher Strenge über Dinge zu argumentieren, die spielerisch bleiben – sie gelangen zu einer nicht aggressiven, freundschaftlichen und kooperativen Art und Weise zu argumentieren, besser als die Erwachsenen das können.

Die Versuche sind nicht wirklich naturwissenschaftlich und sind nicht wirkliche Experimente, wenn sie nicht begründet sind. Die Neugier lässt die Kinder nach­forschen – ihre Suche nach Erklärungen und die Unterschiede in den Beobach­tungen führen zwangsläufig zu Meinungsverschiedenheiten: Der Lehrer sollte keine Angst vor diesen Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten haben! Sie sind der Motor der Untersuchung und die Grundlage des Experimen­tierens. Jedes Kind hat ein Recht auf seine Gedanken, auch auf die bizarrsten, aber es muss sie gut ausdrücken, entwickeln und begründen. Es muss sagen, warum es denkt, was es denkt, warum es denkt, dass die anderen nicht Recht haben. Der Lehrer hat die Rolle, die Kinder anzuhalten, sich so genau wie möglich auszudrücken, den anderen zuzuhören und so erfolgreich wie möglich zu argumentieren.

Die Schwierigkeit, objektiv zu sein

Es hat sich gezeigt, dass die jugendlichen Gewalttäter in den Städten bestimmte psychologische Züge aufweisen, insbesondere eine weitgehende Unfähigkeit, sich aus dem Mittelpunkt herauszunehmen, die Dinge vom Standpunkt anderer zu betrachten. Sie scheinen im gegenwärtigen Moment gefangen, in den Umständen des hier und jetzt, gefangen in einer Sicht der Dinge, die sie nicht als subjektiv wahrnehmen: Sie nehmen die Objektivität eines tatsächlichen Zustandes ebenso wenig wahr, wie sie sich selbst als Subjekte wahrnehmen und reflektieren können. Es fällt ihnen schwer einzu­sehen, dass ihre Taten reale Folgen haben, ob sie es wollen oder nicht, und sie für diese Taten die Verantwortung tragen, weil der Grund bei ihnen liegt. Tat­sächlich überfordert sie diese Welt, als ein Chaos, das nicht zu verstehen ist, und sie schützen sich durch eine manichäische, schematische Vorstellung, in der das "wir" der Bande und des Viertels dem feindlichen Rest gegenübersteht.

Sie haben es nicht geschafft, ihre Stelle in einer komplexen aber doch über­schaubaren und verständlichen Welt einzunehmen. Die heutigen Gesellschaften fordern von ihren Mitgliedern eine große Fähigkeit, sich aus dem Mittelpunkt nehmen zu können, von einer subjektiven zu einer, um die Ansichten anderer erweiterten Ansicht zu kommen; sich auf diese erweiterte Sicht zu stützen, um durch Abstraktion zu einem objektiven Gesichtspunkt zu gelangen, unab­hängig von einer bestimmten Ansicht; sie fordern gleichzeitig, dass jedermann sich selbst in seiner Subjektivität und seiner Individualität ernst nimmt, und dass er fähig ist, sich in beiden Tonarten auszudrücken. Das ist nicht einfach.

Objektivität und Subjektivität

Die Schule versucht in verschiedenen Richtungen subjektiven Ausdruck und objektives Sichmitteilen auszubilden und zu fördern. Vom subjektiven Ausdruck wird erwartet, dass er so authentisch, so ehrlich und so reichhaltig wie mö­glich sei, und das soll, jenseits der Spontaneität, durch verfeinerte, künst­lerische Mittel erreicht werden; von der objektiven Mitteilung wird man ver­langen, dass sie von Gefühlen und eigenen Besonderheiten dessen, der sie macht, nicht abhängt, ebenso wenig wie vom Ort und vom Zeitpunkt, zu dem sie stattfindet. Man schreibt seiner Liebe nicht so, wie man mit der Verwaltung abrechnet und umgekehrt... Es kommt nicht nur darauf an, dass die Kinder in der Schule sich in beiden Richtungen vervollkommnen, sondern ihnen muss auch der Unterschied zwischen beiden Tonarten sehr klar sein.

Im gleichen Maße, wie sich in den Schulen der schwierigen Stadtviertel die Aufmerksamkeit auf die Hilfsmittel für die Ausbildung in Kunst und Literatur und auf die Ausdrucksbedürfnisse einer auf die schiefe Bahn geratenen Jugend richtete, wurde die Erziehung zur Objektivität mit Hilfe der Naturwissen­schaften vernachlässigt. Obwohl sie mindestens ebenso entscheidend ist, wie das künstlerische Ausdrucksvermögen. Es ist durchaus möglich, dass die Kinder ihren Platz als Subjekt in einer vorgefundenen kulturellen Wirklichkeit besser verstehen, wenn sie den Zugang zu einem objektiven Wissen von der Welt gewinnen.

Eine Objektivität, die die Subjekte nicht erdrückt

Es gibt da eine große Schwierigkeit: In die kulturelle Welt der Wissenschaften eintreten und sich dort wohl fühlen, seinen Platz finden, das ist nicht einfach. Wenn man nicht in einer Familie lebt, wo man täglich Erwachsenen begegnet, die sich in dieser naturwissenschaftlichen Kultur wohl fühlen, wenn man nicht einen Lehrer findet, der – man weiß nicht wie – eine lebendige Lust zum Lernen vermittelt, weiß man nicht so recht, was man mit einem Wissen anfangen soll, das Lichtjahre weit weg zu liegen scheint von der Alltagser­fahrung.

Die Naturwissenschaften machen Angst: Sie werden oft als eine strenge, karge Lehre empfunden, die mit Formeln, die kaum die Sinne und die Fantasie ansprechen, gespickt ist. Sie wollen uns verpflichten, so scheint es, nicht zu glauben, was wir sehen, zu verzichten auf das, was wir fühlen und uns zwin­gen, unsere Fantasie zu zügeln. Sie erdrücken uns mit der Lehre, die Bescheid weiß, die direkt von der Quelle der Wahrheit kommt, von da oben. Und unser kleiner Mensch wird, wie eine Figur von Sempé, ganz klein. Er spielt lieber mit Murmeln.

Wie erreicht man in der Schule, dass die Kinder zu naturwissenschaftlicher Objektivität finden, zu Objektivität überhaupt? Wie erreicht man, dass man über diesem Gewinn nicht diejenigen verstößt, die abgehängt werden, weil sie nicht zurecht kommen? Wie erreicht man, dass die Schulkinder sich in den Naturwissenschaften zu Hause fühlen? Es existiert eine Art und Weise, Natur­wissenschaften zu unterrichten, die einem die Tür vor der Nase zuschlägt, die den Kindern sagen will, ihr subjektives Erleben hätte mit den hohen Sphären der direkt aus den Hirnen großer Köpfe fließenden Wahrheiten, die in den Büchern stehen, nichts zu tun. Am Ende der Schule steht schlimmstenfalls der Misserfolg, das Versagen, bestenfalls eine Form von blasierter Skepsis und respektvollem Desinteresse.

Was man über die Bedingungen für Erfolg und Misserfolg in der Schule weiß, bringt uns dazu, der Beziehung des Kindes zum Wissen größte Aufmerksamkeit zu schenken. Es kommt darauf an, dass der Zugang zur Welt des objektiven Wissens zugleich der Werdegang und nicht ein Knebeln eines Subjekts ist – eines Subjekts im sprachlichen Ausdruck und in der Suche nach der Wahrheit. Das Kind muss zur Objektivität finden, ohne sich als Subjekt zu verlieren. Im naturwissenschaftlichen Unterricht sollen die Kinder sich der Realität öffnen, sie in Frage stellen, sich an ihr stoßen und gleichzeitig sich ihrer Kraft, zu verstehen, bewusst werden.

Ständiges Lernen durch Wahrnehmung und Erfahrung

In mehreren Punkten dient La main à la pâte den Kindern objektiver zu wer­den, ohne dass ihre Subjektivität verschüttet wird. Die naturwissenschaftliche Arbeit, die objektivierende Herangehensweise, dramatisiert den Bruch zwischen alltäglicher Erfahrung und Wissenschaft nicht, aber sie überspielt ihn auch nicht. La main à la pâte arbeitet mit einem kontinuierlichen Übergang zwischen dem Erleben des Kindes im Alltag und der Wissenschaft, die es sich aufbaut.

Den Gesichtspunkt anderer beachten

La main à la pâte hält die Kinder dauernd dazu an, am Übergang von ihrer subjektiven Erfahrung, wie sie sie handlungsnah und wahrnehmungsgerecht ausdrücken, zu den objektiven Schlussfolgerungen, die sie anschließend aus der subjektiven Erfahrung ziehen, zu arbeiten. Im Zusammensein mit anderen Kindern, in kleinen Gruppen, wenn sie mit dem Lehrer reden, wenn sie sich über das Internet an andere Kinder wenden, und wenn sie den Eltern erzählen, strengen sich die Kinder an, in einem gewissen Streben nach Objek­tivität ihre Gedanken umzuformen, damit sie von anderen besser verstanden werden. Andere müssen das, was sie sagen (oder schreiben oder zeichnen) als eine Wahrheit über den Gegenstand verstehen können, die unabhängig vom einzelnen Gesichtspunkt ist. Austausch, Einwände, Unverständnis zwingen sie andauernd ihre Ansicht zu erweitern. Das ist Arbeit: Man lernt, Schritt für Schritt, die Formen zu beherrschen.

Wenn man beim Experimentieren zum gemeinsamen Überlegen angehalten wird, wird man dazu gebracht sich so auszudrücken, dass man sich anderen mit­teilen kann, von anderen verstanden wird. Damit ist man bereit, von einer subjektiv als offensichtlich gefühlten Ansicht zu einer Wahrheitsaussage überzugehen, die von allen in Frage gestellt oder geteilt werden kann – umgekehrt entdeckt man sich als ein Subjekt, das etwas zum Ausdruck bringt, das auch andere richtig finden. Damit konstruiert man sich gleichzeitig als Subjekt, als Subjekt, das in der Welt über die alltägliche Welt redet, und als Subjekt für andere Subjekte, mit denen man die Sprache und die Welt teilt. Es ist wichtig für das Kind festzustellen, dass es mit seiner Sprache, mag sie ihm noch so ungeschickt und stotternd erscheinen, zu einer Wahrheitsaussage kommt, die die seine ist und gleichzeitig auch unabhängig von ihm gültig ist. Sobald es diese Möglichkeit erlebt, zur Sprache und zum Denken Zugang findet, nimmt sich das Kind das Recht und die Kraft zu sprechen und zu denken. Hier liegt der Ankergrund für eine glückliche Beziehung zur Sprache, zum Lesen und zum Schreiben.

Die naturwissenschaftliche Objektivität erscheint als das, was sie ist, Arbeit am eigenen Denken, die die Grenze der Einzigartigkeit überschreitet; keine Lehre, die vom Himmel kommt, wie die Gesetzestafeln. La main à la pâte will eine Naturwissenschaft, die eine Schule der Objektivität ist und die, weil sie sie als Erkenntnissubjekte aufbaut, die Kinder nicht erdrückt.

Mitbürgerschaft als Fähigkeit

Damit ein Kind lernt ein Mitbürger zu werden, genügt es nicht in ihm das Entstehen eines Bürgersinns zu fördern, den Sinn für Verantwortung, für Solidarität mit der Gruppe, und alle möglichen Tugenden moralischer Art. Die Mitbürgerschaft ist auch eine Gesamtheit von Fähigkeiten, intellektuelles und sprachliches Werkzeug; wo es an diesen Fähigkeiten mangelt, sind manche Kinder in geringerem Maße Mitbürger; sie sind "weniger gleich" als andere. Man muss sich an den Auseinandersetzungen beteiligen, darf den kritischen Punk­ten nicht ausweichen, muss die Fragen ausreichend verstehen, um die Tat­sachen von den Vorlieben zu trennen; das heißt, man muss seine Wahl treffen und sie öffentlich erfolgreich begründen, wenn man die anderen für seine Sache gewinnen will; das erfordert auch, dass man anderen zuhört und ihre Gründe versteht, die nicht die eigenen sind. Am Ende muss man seine eigene Wahl unter Berücksichtigung des anderen Gesichtspunktes umformulieren können.

Gewiss werden die beschriebenen Fähigkeiten niemals in gleichem Maße allen Bürgern zuteil werden; aber sie müssten erst einmal weit verbreitet sein, in allen sozialen Schichten, denn sie sind die Voraussetzung für ein besseres, glücklicheres Funktionieren der Demokratie, das zu höherer Achtung der Individuen führt. Eine Demokratie bringt sich in Gefahr, wenn infolge fehlender oder unfruchtbarer Auseinandersetzung die Realität missachtet wird, oder wenn bestimmte Mitglieder sich von der Diskussion und dem Übereinkommen ausgeschlossen fühlen – dann bleibt ihnen nur noch die Gewalt, um sich Gehör zu verschaffen und Zeugnis zu geben von der Ungerechtigkeit, die ihnen widerfährt.

Seine Ansicht bei einer Uneinigkeit oder in einem Konflikt zum Ausdruck zu bringen, sie so zu formulieren, dass sie von anderen verstanden wird, zuzu­hören und die Ansicht des anderen zu verstehen, Gegenargumente zu suchen, sich seine Meinung zu bilden, eine Übereinkunft zu suchen – alles das ist uner­lässlich, sowohl für die naturwissenschaftliche, sich auf Wahrheit gründende Herangehensweise, als auch für eine friedliche und demokratische, sich auf Gerechtigkeit gründende Regelung. Zu viele Jugendliche schließen sich selbst aus der öffentlichen Auseinandersetzung aus, indem sie sich sofort verschlie­ßen, wenn sie sich der Diskussion nicht gewachsen fühlen, nach dem Motto "jeder denkt, was er möchte" – und schon fühlen sie sich stark, wenn sie sich zurückziehen. Wenn man sich den Gründen anderer öffnen und die Notwendig­keiten der Realität annehmen will, muss man im Gegenteil seine Stärke darin fühlen, zu diskutieren, zu verstehen und zu überzeugen.

Lernen, sich auseinanderzusetzen

Wie kann man den Kindern helfen, diese Fähigkeiten zur Mitbürgerschaft, diese Haltung in der demokratischen Auseinandersetzung zu erwerben? Die Kinder zum politischen Leben ausbilden heißt klarerweise nicht, sie in einseitig Partei nehmende Streitigkeiten einzuführen. Sie müssen daran gewöhnt werden, sich mit anderen zusammen nach einem Gerechtigkeitsgrundsatz und nach dem Realitätsprinzip zu bestimmen. Das bedeutet, ihnen beizubringen, gerecht zu urteilen.

Das ist nicht leicht. Man muss sich bereit erklären, ohne Vorurteile zu denken, angestrengt nach der Wahrheit zu suchen; schlüssig zu überlegen, indem man das, was man weiß, das, was man beobachtet und das, was man sucht in Zusammenhang bringt; man muss objektiv denken, vom eigenen, exklusiven Gesichtspunkt wegkommen. Ohne vorzugeben, dieses Ziel je vollständig erreichen zu können (dann wären wir alle Engel!), kann die Erziehung wenigs­tens auf dieses Ideal hinwirken. Im Grund ist das das kapitale Anliegen der Schule, das sich in allem was unterrichtet wird, in kleiner Münze auszahlt. Gerade weil die Vielzahl der Fächer darin wetteifert, diesen Geist der Unter­suchung, der Freiheit und der Strenge zu bilden, erzieht die Schule, indem sie lehrt, verbindet sich der Erwerb von Wissen mit der Ausbildung zum Mitbürger.

Ein Kind dazu zu erziehen objektiv zu denken, bedeutet ihm Diskussionsver­fahren beizubringen: Dass man anderen nach Wahrheit strebende Aussagen vorlegt, dass man diskutiert, widerspricht, zurückweist, aber gehalten ist, sich dem zu beugen, was die Realität der Beobachtung und der Erfahrung vorgibt. Man muss sich anderen verständlich machen, sich über Aussagen einigen, vom eigenen Gesichtspunkt wegkommen – ihn gewiss vertreten, aber von einem allgemeinen Gesichtspunkt aus und für jedermann verständlich. Diese vielseitig anwendbaren Qualitäten lassen sich in der Kindheit besonders leicht im natur­wissenschaftlichen Rahmen und im Umgang mit der Materie üben.

Uneinigkeit akzeptieren, Übereinstimmung suchen

Naturwissenschaftliche Forscher haben keinen angeborenen Sinn für Objektivi­tät. Wenn es darum geht, die eigene Meinung zu verteidigen, sind sie genauso "subjektiv" wie jeder andere! Nur, sie akzeptieren eine Disziplin der wissen­schaftlichen Auseinandersetzung, sie arbeiten mit ihr. Die Offenheit gegenüber einer kritischen Diskussion der Hypothesen zwingt die wissenschaftliche Welt zur Objektivität; das verbindet wissenschaftliche Entwicklung und demokrati­sche Freiheit. Man muss akzeptieren, dass das autoritäre Argument oder der Mehrheitsbeschluss sich dem experimentellen Beweis beugen. Man muss sich frei etwas vorstellen und strickt etwas ablehnen können.

Den Kindern zu helfen zur Objektivität zu kommen, heißt ihnen zu helfen, diese Fähigkeiten, objektiv zu debattieren, aufzubauen. Man ist verschiedener Mei­nung und jeder beharrt auf seiner Überzeugung? Suchen wir gemeinsam. Die Arbeit wird sich sowohl in der mitbürgerlichen Erziehung als auch in den expe­rimentellen Wissenschaften lohnen, wenn man die Kinder dazu anhält, Verfah­ren anzuwenden, um sich auszudrücken, zu erklären, die Argumente des anderen anzuhören. Vielleicht ist es in den Naturwissenschaften leichter: Die Aufregung über Ungerechtigkeiten bricht einem nicht das Herz. Und in den Naturwissenschaften erwirbt man die für die Auseinandersetzung um Gerech­tigkeit wertvollen Fähigkeiten.

Naturwissenschaft und mitbürgerliche Erziehung

Wohlgemerkt, in beiden Fällen lernt man das Wort zu ergreifen, Argumenten des anderen zuzuhören und seine Meinung zu achten; es besteht jedoch ein Unterschied, den es zu verstehen und zu achten gilt.

In den Naturwissenschaften wird die Übereinkunft durch das Experimentieren hergestellt: Auch wenn das keinem gefällt, das Experiment entscheidet, Mehr­heiten hin, Mehrheiten her. Dagegen geht es in der mitbürgerlichen Erziehung auf der Grundlage von allerseits anerkannten Werten um Gerechtigkeit; man muss zu Kompromissen kommen, die alle akzeptieren, auch die Minoritäten. Man lernt, Uneinigkeiten mit Respekt vor jedem und unter Anhörung aller zu beseitigen; aber man entscheidet nicht in gleicher Weise in den Naturwissen­schaften wie man über Gerechtigkeit im Zusammenleben entscheidet. Die Naturwissenschaft ist keine Frage der Übereinkunft, die Gerechtigkeit ist keine naturwissenschaftliche Kategorie.

Wenn die Schule erziehen will, geht das nicht allein mit einer Stunde mitbür­gerlicher und Moralerziehung, weil es darum geht, ein ganzheitliches Verhalten aufzubauen.

Im naturwissenschaftlichen Experimentieren geht es in der Beziehung zu ande­ren, in der Beziehung zu dem, was über das Individuum hinausgeht, um etwas sehr wichtiges. Der Vorteil ist hier, dass das, womit man sich abgibt, leiden­schaftslos ist, ein Gerät, Gegenstände – keine Frage von persönlichen Konflik­ten. Viele Lehrer klagen darüber, dass sie die Probleme und Konflikte der Klasse da, wo es dringend wäre, nicht den Klassenräten überlassen können, weil die Lage bereits zu explosiv ist und die Kinder zu sehr revoltieren. In vielen Fällen konnte, mittels einer materiellen Problematik in naturwissen­schaftlichen Experimenten, eine Gemeinsamkeit wieder hergestellt werden. Das Klima in der Klasse wurde wieder erträglich, weil man die Gewalttätigkeit hintanstellte und miteinander sprach.

Übersetzung: Klaus Schlüpmann


Fußnoten

1: Die Autorin arbeitet am INRP (Institut National de Recherche Pédagogique – Staatliches Institut für pädagogische Forschung) und schreibt an anderer Stelle über sich selbst: "...mein Gebiet ist die Philosophie der Erziehung und Bildung, meine Ausbildung war das klassische Curriculum der Geisteswissen­schaften, mich haben Psychoanalyse und Soziologie interessiert, ich bin mit dem naturwissenschaftlichen Unterricht befasst, weil mein Beruf die Ausbildung von Lehrern ist. Auf verschiedenen Gebieten gesammelte Erfahrungen haben in mir die Aufmerksamkeit für bestimmte fachübergreifende Entwicklungen ge­weckt und geschärft." (Subjectivité et objectivité dans l'enseignement des sciences – Subjektivität und Objektivität im naturwissenschaftlichen Unter­richt, 2004)

2: Wörtlich "das Erwachen"; verschiedene Bedeutung vom Alltagsgebrauch über die Pädagogik zur (buddhistischen) religiösen Sphäre. Hier eine in den siebziger Jahren in die naturwissenschaftlichen Lehrpläne Frankreichs einge­gangene pädagogische Vorstellung vom "Erwachen" selbständigen, aktiven Lernens, wenn dem Kind Lernmittel ("Spielzeug") nicht vorenthalten werden. Bis etwa 1960 standen das Sehen und Beobachten im "Sachunterricht" im Vordergrund (Anmerkung des Übersetzers).

3: Loi (Gesetz) Haby 1975: Im Anschluss an die fünfjährige Grundschule besuchen alle Schüler vier Jahre lang das weiterführende "Collège", erst dann wird getrennt, in berufsbildende (nach zwei Jahren abschließende) Schule und Lycée (Sekundarstufe 2), das mit dem "Baccalauréat" (Abitur) abschließt.

4: Zones d'Éducation Prioritaire – wörtlich: bevorzugte (regionale) Zonen im Erziehungs- und Bildungswesen; 1982 in der Ära Mitterand eingeführte "posi­tive Diskriminierung" in der Mittelverteilung zugunsten von Schulen in sozial schwachen und Brennpunktgebieten. In der Folge entstand vielfach das falsche Bild: ZEP = Migrationshintergrund.

5: Le projet d'écoles: Rahmengesetz von 1989 (Loi d'orientation sur l'éduca­tion), das das Schul- und Lehrerbildungswesen neu ordnet (u. a. wird die Grundschullehrerbildung in die Universitäten integriert).

6: Wie im Rahmengesetz vorgesehen, wird 1990 die Vor- und Grundschulzeit (3-11 Jahre) nicht mehr in Jahreszyklen geteilt, sondern in 3 Zyklen mit jeweiligen Lernzielen, die in mindestens 18 und höchstens 36 Monaten durchlaufen werden. Schüler verschiedenen Alters kommen in einer Klasse zusammen. Es muss betont werden, dass der zweite Zyklus die ersten beiden Grundschulklassen sowie das zweite Vorschulhalbjahr umfasst. Die Neuordnung bleibt umstritten.

7: Différenciation pédagogique (siehe www.cnesco.fr/fr/differentiated-instruction/): Ausgehend vom Grundsatz, dass ein jeder lernfähig ist, wenn er den persönlichen Zugang findet, bildungs- statt selektionsorientierter Unterricht für möglichst alle.

Letzte Aktualisierung: 24.11.2024

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