1.7: Die Ausgrabung versteinerter Knochen
Autoren: | |
Publikation: | 18.1.2018 |
Lernstufe: | 3 |
Übersicht: | Sowohl im Alltag als auch in der Wissenschaft gibt es Situationen, in denen wir nicht sicher sind bzw. etwas nur zum Teil wissen. Indem wir wiederholt beobachten, und dadurch mehr Informationen sammeln, können wir mehr verstehen. Teilen wir unser Wissen mit anderen, erhalten wir durch das Zusammenlegen noch mehr Informationen. |
Angestrebte Kenntnisse: |
Wissenschaftlich denken, kritisch denken:
Durch wiederholtes Beobachten Wissen aufbauen. Für Fortgeschrittene: Die Beobachtungen vergleichen, um ihre Konsistenz zu überprüfen. Kompetenzen: Mit Unterstützung der Lehrerin forschendes Lernen betreiben: Auf der Grundlage sorgfältiger Beobachtungen Schlussfolgerungen schließen. |
Schwerpunkt: | Wissenschaft und Technik, Sachunterricht (Biologie, Geologie) |
Dauer: | 2 Stunden 30 Minuten (3 bis 4 Einheiten) |
Material: |
Für jede Schülergruppe:
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Herkunft: | La main à la pâte, Paris |
Aktivität: Was für ein Tier haben wir da ausgegraben?
Ablauf: Die Schüler schlüpfen in die Rolle von Archäologen
(Phase 1). Sie beobachten ihre Funde, zeichnen und beschreiben
sie, um dadurch deren wichtigsten Merkmale zu bestimmen. Anhand dieser Merkmale
formulieren sie Hypothesen: Um was könnte es sich bei den Funden handeln
(Phase 2)? Anschließend legen sie ihre Funde zusammen und vergleichen
ihre Hypothesen (Phase 3). Sie machen sich über die
Arbeitsweise von Wissenschaftlern Gedanken sowie darüber, wie wir
auch im Alltag manche Dinge gemeinsam machen (Phase 4).
Botschaft zum Mitnehmen:
Wollen wir mehr über einen mysteriösen Gegenstand wissen, oder
über ein Phänomen, das wir nicht auf Anhieb verstehen, müssen wir
genauer hinschauen, nach weiteren Indizien suchen und diese Indizien
miteinander vergleichen, um zu prüfen, ob sie übereinstimmen. Manchmal
führen uns neue Indizien dazu, unsere ursprüngliche Meinung zu ändern.
Vorbemerkungen:
- Während dieser Aktivität wird meistens in Gruppen gearbeitet, wobei sich die Gruppen auch gegenseitig helfen sollen. Es kann sinnvoll sein, jedem Schüler einer Gruppe, seinen Begabungen entsprechend, eine eigene Aufgabe zuzuteilen: schreiben, Zeichnungen anfertigen, berichten usw.
- Im Laufe dieser Aktivität wird es wahrscheinlich immer wieder sehr lebhafte Diskussionen geben und die Schüler werden sich nicht immer einig sein. Die Lehrerin wird die Diskussionen innerhalb der Gruppen und zwischen den Gruppen moderieren müssen. Diese Diskussionen sind allerdings Zweck und Schwerpunkt der Aktivität. Bei dieser Gelegenheit können Strategien gelernt werden, wie man Konflikte in Situationen löst, in denen mehrere gegensätzliche Hypothesen vertreten werden. Man sollte anhand von Fakten argumentieren; akzeptieren, dass mehrere Hypothesen als plausibel beibehalten werden; versuchen die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Hypothesen zu sammeln. Die Lehrerin erinnert die Schüler daran: Auch wenn mehrere Hypothesen plausibel sind, werden sie nur dann akzeptiert, wenn sie begründet sind, das heißt wenn sie auf Beobachtungen beruhen: Das ist ein grundlegendes Kriterium.
Abb. 1: Vier 'Knochen' von Tag 1 und mögliche Zusammensetzung der 10 'Knochen'
Vorbereitung: Die Lehrerin muss für diese Aktivität einiges vorbereiten. Wenn sie die aus den Arbeitsblättern ausgeschnittenen Elemente aber laminiert, kann sie sie mehrmals benutzen.
- Die Arbeitsblätter 24 (Das Grabungsheft), 25 (Fünf Forschungstage) und 26 (Skelett eines Tieres) ausdrucken – möglichst im A3-Format.
- Aus dem Arbeitsblatt 25 die kleinen Texte zu den fünf Forschungstagen ausschneiden.
- Aus dem Arbeitsblatt 26 das Skelett in 10 Teile zerschneiden. Das Skelett kann auf unterschiedliche Weise zerschnitten werden: Man kann die Beine ganz lassen oder die Finger (alle zusammen oder sogar jeden einzeln) abtrennen. Man kann den Kopf ganz lassen oder ihn entzweischneiden. Man kann die Wirbelsäule in drei oder mehr Teile schneiden usw. Je mehr Einzelteile man hat, umso schwieriger wird natürlich die anschließende Rekonstruktion, aber umso wichtiger wird das gemeinsame Erörtern.
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Jede Gruppe erhält fünf Umschläge. Die Lehrerin sollte darauf achten, dass
sich in den Umschlägen der Gruppen nicht überall die gleichen Knochen befinden.
Und natürlich sollten in den Umschlägen einer Gruppe auch unterschiedliche
Knochen des Skeletts sein. Auf diese Weise wird die Klasse erkennen, dass es
von Vorteil ist, die Erkenntnisse der verschiedenen Gruppen zusammenzulegen,
und die anderen Gruppen nicht als Konkurrenten zu sehen.
- Umschlag 1: Text von "Tag 1" + 4 Knochen
- Umschlag 2: Text von "Tag 2" + 3 Knochen
- Umschlag 3: Text von "Tag 3" + 3 Knochen
- Umschlag 4: Text von "Tag 4"
- Umschlag 5: Text von "Tag 5"
Phase 1: Präsentation des Rollenspiels und Verteilung des Fragebogens (ca. 30 min)
Die Schüler schlüpfen in die Rolle von Paläontologen. Sie gehen auf Expedition, um Fossilien zu finden. Durch die genaue Beobachtung der Fossilien wollen sie ein Stück Geschichte des Lebens auf der Erde rekonstruieren. "In der Grabungsstätte bei Niederkirchen im Saar-Nahe-Becken hat ein Team von Paläontologen fossile Knochen ausgegraben. Die Wissenschaftler suchen freiwillige Helfer, die sie bei der Grabungsarbeit unterstützen. Ihr macht euch also auf den Weg in die Kleinstadt Niederkirchen (zwischen Mannheim und Kaiserslautern), und von dort zur Grabungsstätte. Vor Ort werdet ihr von den Wissenschaftlern empfangen, die euch einweisen und euch Grabungsgeräte ausleihen. Ihr teilt euch in Gruppen auf – jede Gruppe gräbt an einer anderen Stelle."
Pädagogische Anmerkungen
- Mit solch einem Rollenspiel gibt man der Unterrichtseinheit einen festen Rahmen. Außerdem rechtfertigt es das Arbeiten in Gruppen und strukturiert die einzelnen Schritte der Aktivität. Das Szenario motiviert die Schüler, sie stellen Hypothesen auf, diskutieren mit ihren Mitschülern, und verändern nach der Diskussion eventuell ihre ursprünglichen Hypothesen.
- Die Lehrerin kann auch ihr eigenes Szenario entwerfen. Eventuell kann sie die Schülertische zusammenstellen und sie zu "Grabungsquadraten" deklarieren. Oder sie steckt mit Seilen auf dem Fußboden kleine Ausgrabungsinseln ab. Ein Tisch in einer Ecke könnte das Labor sein. Dort befinden sich Bücher mit Tierskeletten oder Sachbücher zur Paläontologie, zur Anatomie ausgestorbener Tiere, zur Evolution, zur Erdgeschichte usw. In einer anderen Ecke des Klassenraums gibt es den "Konferenzraum", in dem die Ergebnisse der einzelnen Gruppen vorgetragen werden. So hat jede Phase dieser Aktivität seinen eigenen Ort im Klassenraum.
Die Lehrerin stellt den Schülern einige Fragen, um herauszufinden, ob sie die Arbeitsweise für diese Unterrichtseinheit verstanden haben. Dazu kann sie den Evaluationsbogen 14 (Wie arbeiten Paläontologen?) verwenden. Die Lehrerin betont, dass der Fragebogen nicht benotet wird. Es werden neue Wörter besprochen, zum Beispiel Paläontologe, Ausgrabung, Fossil, versteinert, Feldlabor. Anschließend wird auf einer Karte nachgeschaut, wo Niederkirchen liegt [1]. Die Lehrerin kann den Schülern auch Fotos von Ausgrabungsstätten zeigen (Stichwort "Ausgrabung" in der Bildersuche einer Suchmaschine eingeben), um die Atmosphäre paläontologischer Ausgrabungen heraufzubeschwören.
Anschließend werden die Schüler in kleine Gruppen aufgeteilt (à zwei bis vier Schüler). Jede Gruppe stellt ein Paläontologen-Team dar und bekommt ein Grabungsquadrat zugeordnet. Außerdem erhält jede Gruppe ein Grabungsheft (Arbeitsblatt 24). Die Schüler beginnen nun ihre Ausgrabungsarbeit, untersuchen ihre Funde im Feldlabor und vergleichen sie mit etabliertem Wissen. Anschließend präsentieren sie den anderen Gruppen ihre Hypothesen, wie ihrer Meinung nach die gefundenen Knochen zusammenpassen.
Phase 2: Drei Grabungstage (ca. 45 min: 10 bis 15 min pro Grabungstag)
Tag 1 (erster Grabungstag)
Der erste Grabungstag bricht an. Jede Gruppe begibt sich zu ihrem Ausgrabungsquadrat. Die Lehrerin gibt jeder Gruppe den Umschlag Nr. 1. Die Schüler öffnen ihn und lesen zunächst den kurzen Text zu Tag 1 durch, bevor sie sich die vier Knochen(gruppen) – den Fund des Tages – anschauen. "In dem Text steht, dass die Knochen in der gleichen Tiefe gefunden wurden und dass die Erdschichten nicht durcheinandergewühlt waren. Man kann also davon ausgehen, dass die Knochen zu demselben Tier gehören? Wie können wir herausfinden, um welches Tier es sich handelt?"
Die Schüler schauen sich die Knochen an und überlegen sich, um was für Knochen es sein könnten (Rippen, Ober- oder Unterschenkelknochen, Finger- oder Zehenglied usw.). Sie versuchen sich die Form des Tieres vorzustellen, testen unterschiedliche Kombinationen. Jede Gruppe schreibt in das Arbeitsblatt (schriftlich oder als Zeichnung), wie das Tier wohl ausgesehen hat, wie seine Knochen zusammengesetzt waren. Einige Schüler werden schon erste Hypothesen formulieren: "Das sind die Knochen eines Dinosauriers, einer Eidechse, ..." Es ist sehr wichtig, alles zu notieren, um am nächsten Tag mit der Arbeit fortfahren zu können. Nun ist Feierabend, auf ins Feldlager.
Tag 2 (zweiter Grabungstag)
"Am nächsten Morgen kehren die Archäologen zur Grabungsstätte zurück. Sie führen ihre Arbeit vom Vortag fort." Jede Gruppe bekommt den Umschlag Nr. 2: "Es wurden drei Knochen ausgegraben." Die Schüler versuchen erneut, nunmehr mit sieben Knochen, das Skelett des Tieres zu rekonstruieren. Erneut werden alle Erkenntnisse in das Arbeitsblatt eingetragen. Es stellen sich Fragen wie: "Falls unsere bisherige Interpretation der Funde richtig ist: Was erwarten wir beim weiteren Ausgraben noch zu finden bzw. nicht zu finden?" Und es ist wieder Feierabend. Morgen geht es weiter.
Tag 3 (dritter Grabungstag)
"Auch heute geht es wieder zur Grabungsstätte." Es werden drei weitere Knochen gefunden (Umschlag Nr. 3). Die Forscher haben inzwischen viel (Knochen-)Material. Nun muss gut nachgedacht werden: "Was wissen wir über Tierskelette? Wer könnte uns bei der Rekonstruktion des Skeletts helfen, so dass wir das Tier identifizieren können?"
Abb. 2: Schüler bei der Rekonstruktion des Skeletts
Phase 3: Die Tage 4 und 5: Willkommen im Labor (ca. 45 Minuten)
Tag 4 (erster Tag im Labor)
Heute geht es ins Labor. Dort können die eigenen Funde mit den Funden der anderen Grabungsteams verglichen werden. Außerdem können die Forscher in die Bibliothek gehen und in entsprechenden Sachbüchern nachschauen, ob dort nicht vielleicht ein Tierskelett abgebildet ist, das ähnliche Knochen hat wie diejenigen, die die "Paläontologen" ausgegraben haben. Gibt es das Tier noch oder ist es bereits ausgestorben?
Zunächst werden die eigenen Ergebnisse mit den Ergebnissen des Teams verglichen, das ganz in der Nähe gegraben hat – das ist im Klassenraum natürlich die Nachbargruppe. Da nicht jede Gruppe die gleichen Knochen(gruppen) bekommen hat, hilft das Zusammenlegen der Ergebnisse bei der Rekonstruktion des Skeletts noch ein Stück weiterzukommen. Jetzt kann man vielleicht schon ein bisschen erkennen, wie das Tier wohl ausgesehen haben könnte.
Die beiden Gruppen forschen nun gemeinsam weiter. Sie holen sich Sachbücher zur Hilfe und machen eine Literaturrecherche. Sie suchen nach Skeletten von Tieren, die ähnlich aussehen, wie das von ihnen rekonstruierte Tier. Sie stellen eine Hypothese auf, die sie morgen "auf der Konferenz" präsentieren werden. An dieser Konferenz nehmen alle Paläontologen teil, die an der Ausgrabungsarbeit beteiligt waren. Wenn sie sich nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen können, versuchen sie einen Kompromiss zu finden. Sie können auch abstimmen oder sich dazu entscheiden, mehrere Hypothesen zu präsentieren. Wichtig ist nur, dass jede Hypothese gut begründet ist und sich auf die gemachten Beobachtungen und auf das bei der Literaturrecherche gewonnene Wissen stützt.
Abb. 3: Literaturrecherche in Sachbüchern
Tag 5 (zweiter Tag im Labor)
Während einer gemeinsamen Erörterung werden die verschiedenen Rekonstruktionen und Argumente verglichen. Jede Gruppe stellt ihre Rekonstruktion vor. Die ganze Klasse vergleicht und diskutiert: "Welche Rekonstruktion scheint die plausibelste zu sein? Haben sich die einzelnen Forscher auf eine Interpretation geeinigt? Welche Informationen haben die verschiedenen Rekonstruktionen am meisten beeinflusst? Wie haben sich die Rekonstruktionen seit den ersten Funden verändert? Hat eine Gruppe ihre Meinung geändert, nachdem es die Rekonstruktion der Nachbargruppe gesehen und erklärt bekommen hat?"
Abb. 4: Rekonstruktionen des Skeletts und Dokumentation
Zusammenfassung
Die Lehrerin hilft den Schülern, ihre Ergebnisse zusammenzufassen. Sie diskutiert mit ihnen über die Arbeitsweise von Wissenschaftlern, hier speziell über die von Paläontologen.
Beispiele:
- "Paläontologen forschen unter anderem über ausgestorbene Lebewesen. Sie sammeln Fossilien, die sie präparieren und einer erdgeschichtlichen Epoche zuordnen. Um zu identifizieren, um welche Tierart es sich handelt, müssen sie ihre Funde genau beobachten und eventuell das Skelett aus einzelnen Knochen rekonstruieren. Sie tauschen ihre Ideen untereinander aus und arbeiten in Teams. Es gibt immer Ungewissheiten. Sie berufen sich auf bekanntes Wissen und brauchen viel Vorstellungskraft. Sie präsentieren die Ergebnisse ihrer Forschung auf Konferenzen (Tagungen)."
- Unser Skelett ist das Skelett eines Branchiosaurus, einer kleinen molchartigen Amphibie.
- Ein Wissenschaftler muss sehr gut beobachten können und seine Hypothesen auf zahlreiche Indizien stützen. Er muss bereit sein, seinen Standpunkt zu ändern bzw. ihn mit den Standpunkten anderer Wissenschaftler zu konfrontieren.
Die Lehrerin fragt die Schüler schließlich, ob sie eine solche Arbeitsweise aus ihrem Alltag kennen? "Gibt es Situationen, in denen man das Bedürfnis hat, genauer hinzuschauen und weitere Indizien zu sammeln, um ein Rätsel zu lösen? Situationen, in denen man sich mit anderen austauscht, um das eigene Wissen zu erweitern? Oder in denen man seine eigene Meinung ändern musste, nachdem man weitere Hinweise bekommen hat (selbst gefunden oder von anderen mitgeteilt)?" Die Schüler erwähnen vielleicht eine Situation – im Klassenraum, auf dem Pausenhof –, die je nach Standpunkt unterschiedlich interpretiert werden kann. Wenn man die Beobachtungen mehrerer Personen betrachtet und schaut, in welchen Punkten sie übereinstimmen, kann man sich der "Wahrheit" nähern.
Mögliche Erweiterung
Die Lehrerin kann Fotos und Videoausschnitte von paläontologischen Ausgrabungen zeigen, damit sich die Schüler eine bessere Vorstellung von der Arbeit von Paläontologen, den eingesetzten Geräten und der Grabtechnik machen können. Vielleicht kann auch ein Paläontologe in die Klasse kommen oder die Klasse macht einen Ausflug zu einer Ausgrabung oder in die Universität (im Rahmen einer Langen Nacht der Wissenschaften oder einer Kinderuni).
Abb. 5: Rekonstruktionen des Skeletts
Evaluation
Zur Evaluation kann die Lehrerin erneut den Evaluationsbogen 14 (Wie arbeiten Paläontologen?) ausfüllen lassen. Sie bringen mit dem in dieser Unterrichtseinheit erworbenen Wissen ihre Antworten auf den neuesten Stand. Sie werden auf diese Weise die Weiterentwicklung ihrer Ideen sehen können.
Fußnote
1: Im Saar-Nahe-Becken (u. a. bei Niederkirchen) wurden zahlreiche Skelette von Branchiosauriern gefunden.
Letzte Aktualisierung: 29.11.2023