2.6: Die Störanfälligkeit der Ökosysteme
Autoren: | |
Publikation: | 29.5.2017 |
Lernstufe: | 3 |
Übersicht: | Die Schüler arbeiten mit einem Modell eines Ökosystems. Wirkt von außen ein Störfaktor, bricht das Ökosystem (teilweise) zusammen. Beispiele für Störfaktoren: Einführen invasiver Arten, massenhaftes Entfernen einer Art, Veränderung der Vermehrungsrate, Veränderung der Anzahl der gejagten Tiere. |
Angestrebte Kenntnisse: |
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Wortschatz: | Gleichgewicht, Störanfälligkeit, Störfaktor, Stabilität, starke Vermehrung |
Dauer: | 1 Stunde 30 Minuten |
Material: |
Für die Klasse:
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Herkunft: | La main à la pâte, Paris |
Ausgangsfrage
Zu Beginn der Stunde werden die Erkenntnisse der vorherigen Stunde besprochen. Anschließend wird die Klasse wieder in Gruppen aufgeteilt. Der Lehrer händigt ihnen die in der vorherigen Stunde konstruierten Nahrungsnetze aus. Anschließend fragt er: "Was würde eurer Meinung nach passieren, wenn man ein Element dieses Nahrungsnetzes verändern würde? Wenn man zum Beispiel ein neues Raubtier einbringen würde oder wenn man zu viele Lebewesen einer Art entnehmen würde (bis an den Rand des Aussterbens)?". Die Klasse debattiert eine Weile über diese Frage.
Debatte
Der Lehrer wird konkreter: "Was würde passieren, wenn in den verschiedenen Beispielen des Arbeitsblattes 21 (Nahrungsnetze) die mit einem Kreuz gekennzeichnete Art verschwinden würde? Was würde zum Beispiel passieren, wenn die Silbermöwe im Beispiel A verschwindet? Könnten sich dann einige Arten stark vermehren und andere Arten wiederum verschwinden? Könnte es zu einem Dominoeffekt kommen?". Jede Gruppe verfasst einen kurzen Text, in dem sie erklärt, was ihrer Meinung nach passieren wird.
Pädagogische Anmerkung
- Natürlich handelt es sich hier um vereinfachte Modelle, und die Überlegungen der Schüler können nur grob wiedergeben, was tatsächlich passieren würde, wenn die genannten Arten verschwinden würden. Beispiel Meersalat: Auch die Wassertemperatur und chemische Substanzen führen dazu, dass er sich an manchen europäischen Küsten stark verbreitet. Trotzdem ist es interessant, die Schüler über solche vereinfachten Situationen nachdenken zu lassen, allein damit sie begreifen, wie zerbrechlich das Gleichgewicht solcher Nahrungsnetze ist.
- Der Lehrer kann die Schüler auch fragen, ob sie sich vorstellen können, was zum Aussterben der Art mit dem Kreuzchen geführt haben könnte. Bei der Seezunge im Szenario C könnte die Ursache Überfischung sein. Im Szenario D könnte Wasserverschmutzung die Ursache für das Verschwinden des Meersalats sein.
- Wenn die Schüler diese Aufgabe sehr schnell erledigen, kann der Lehrer sich weitere Situationen ausdenken, die ein Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringen.
Modellierung eines vereinfachten Ökosystems
Nun schlägt der Lehrer vor, ein Ökosystem mit nur zwei Arten zu betrachten – einem Raubtier und einem Beutetier (Jäger und Beute). Als Beispiel nehmen wir hier die Garnele als Beute und den Rochen als Jäger. Jede Art wird durch eine Farbe und eine geometrische Form gekennzeichnet (blaue Dreiecke für die Rochen, orange Kreise für die Garnelen). Bei den Jungtieren sind die Dreiecke und Kreise kleiner und deren Farbe heller. Der Lehrer projiziert die "Simulation 1" des Arbeitsblattes 22 (Modell eines einfachen Ökosystems) an die Wand. Es sind dort die Bedingungen für das Gleichgewicht des Ökosystems beschrieben. Die Bedingungen werden gemeinsam durchgelesen und besprochen.
Abb. 1: Nach fünf Schritten ist das Ökosystem wieder im Gleichgewicht. Die Rochen werden durch blaue Dreiecke dargestellt (groß und dunkelblau: ausgewachsene Rochen, klein und hellblau: junge Rochen), Garnelen durch orange Kreise (groß und dunkelorange: ausgewachsene Garnelen, klein und gelb: junge Garnelen).
Der Lehrer und die Schüler gehen gemeinsam einen kompletten Zyklus des Ökosystems durch. Sie befolgen dabei die fünf im Arbeitsblatt 22 erwähnten Regeln. Der Lehrer erklärt den Schülern genau, welche Farben und Formen verwendet werden müssen und stellt sicher, dass die Schüler alle Begriffe verstanden haben. Am Ende eines kompletten Zyklus ist das Ökosystem wieder in seine Ausgangssituation zurückgekehrt. Solch ein Ökosystem nennt man stabil. Man sagt auch: Das Ökosystem ist im Gleichgewicht.
Pädagogische Anmerkung
Wenn der Lehrer keine oder nicht genügend Spielmarken auftreiben konnte, kann jeder Schritt der Simulation auch auf einer kleinen Tafel nachvollzogen werden. Für jeden Schritt muss dann die Anzahl der Individuen der einzelnen Populationen notiert werden: erwachsene Garnelen, junge Garnelen, erwachsene Rochen, junge Rochen.
Wissenschaftliche Anmerkung
Diese Modellierung verdeutlicht auf anschauliche Weise den Begriff des Gleichgewichts eines Ökosystems. In Wirklichkeit ist die Situation natürlich viel komplexer. Ein Garnelenweibchen legt Tausende Eier, von den Jungtieren überlebt aber nur eine Handvoll. Daher die "Abkürzung" im Arbeitsblatt 22 (Modell eines einfachen Ökosystems). In Wirklichkeit erfolgen die einzelnen Schritte auch nicht hintereinander; alles geschieht gleichzeitig. Für die Schüler wäre eine solche Simulation nicht mehr handhabbar, für Wissenschaftler allerdings auch nicht. Der Zeitraum (drei Monate) ist auch eher symbolisch als wissenschaftlich genau.
Die Regeln sind so gewählt worden, dass die Ausgangssituation schnell wieder erreicht wird – falls das Ökosystem im Gleichgewicht ist. Es ist daher unerlässlich, dass die Regeln genauestens befolgt werden. Also zum Beispiel nicht "Jeder Rochen frisst 1/8 der erwachsenen Garnelen" durch "Jeder Rochen frisst 4 erwachsene Garnelen" ersetzen. Die Rochen dürfen auch keine Garnelenbabys fressen, auch wenn es eine Hungersnot gibt. Auch wenn sie unrealistisch erscheinen mögen, aber so sind nun mal die Regeln dieser Modellierung.
Im zweiten Teil der Modellierung wird auf die Zerbrechlichkeit des Gleichgewichts eines Ökosystems eingegangen. Es werden zwei verschiedene Situationen durchgespielt. Der Lehrer zeigt den Schülern nun die "Simulation 2" des Arbeitsblattes 22: Wegen Überfischung sind alle großen Garnelen verschwunden, nur die kleinsten sind noch übriggeblieben. Die Rochen müssen nun mehr Garnelen fressen (weil die Garnelen kleiner sind), um zu überleben bzw. gesund zu bleiben. Die dritte Regel lautet nun: Es wird ein Babyrochen geboren, wenn die Rochen (alle zusammen) 16 Garnelen verschlungen haben. "Was meint ihr, was passieren wird?"
Die naheliegende Antwort lautet: Es wird einen Rückgang der Rochenpopulation geben. Sobald der Lehrer das Gefühl hat, dass die Schüler die Regeln gut verstanden haben, kann er die Gruppen auffordern, selbstständig ihre Hypothesen zu überprüfen. Anschließend kann die Modellierung mit der gesamten Klasse wiederholt werden.
Abb. 2: Das Ökosystem bei Überfischung: Die Rochen sterben aus, während sich die Garnelen stark vermehren.
Pädagogische Anmerkung
Die Schüler müssen sich das Ergebnis jedes Zyklus nicht im Kopf vorstellen, aber ein bisschen Kopfrechnen, um herauszubekommen, was bei den einzelnen Schritten herauskommt, kann nicht schaden. Ohne Taschenrechner wird es aber wahrscheinlich nicht gehen, wenn die Divisionen komplizierter werden.
Abb. 3: Schüler mit dem Ökosystemmodell [1]
Der Lehrer schlägt nun vor, wieder zur Ausgangssituation zurückzukehren und eine andere Regel zu ändern (es sollte immer nur eine Regel geändert werden). Er zeigt den Schülern die "Simulation 3" des Arbeitsblattes 22: Wegen der Veränderungen ihrer Umwelt (Wasserverschmutzung, Versauerung der Meere, Temperaturerhöhung des Wassers) vermehren sich die Garnelen schlechter. Die erste Regel lautet nun: Nur jedes zweite Garnelenpaar bekommt ein Garnelenbaby. "Was wird passieren?". Die zu erwartende Antwortet lautet: "Die Garnelenpopulation wird zurückgehen". Die richtige Antwort ist völlig kontraintuitiv: Es sind die Rochen, die verschwinden – auch wenn wir die Garnelenpopulation beeinflussen. Die Schüler überprüfen ihre Hypothesen, indem sie selbstständig drei oder vier Zyklen durchspielen.
Abb. 4: Das Ökosystem bei einer verminderten Vermehrung der Garnelen: Die Garnelenpopulation ist kleiner geworden, die der Rochen aber auch.
Mögliche Erweiterung: Dosenwerfen zur Veranschaulichung des Gleichgewichts eines Ökosystems
Man kann das Gleichgewicht eines Ökosystems auch anschaulicher darstellen: Die Bildkarten aus dem Arbeitsblatt 21 (Nahrungsnetze) können zum Beispiel auf Dosen geklebt werden. Anschließend stapelt man die Dosen, und zwar so, dass die Produzenten und Primärverbraucher von Nahrung unten stehen und die Raubtiere (Jäger) oben. Anschließend entfernt man die eine oder andere Dose (= das eine oder andere Element des Netzes), entweder per Zufall oder gezielt, so lange, bis der Stapel zusammenbricht.
Zusammenfassung
Die Klasse erarbeitet gemeinsam eine Schlussfolgerung.
Beispiel für eine Zusammenfassung:
Lebewesen sind Teil eines Nahrungsnetzes. In diesem Nahrungsnetz besteht normalerweise ein Gleichgewicht zwischen den Arten. Wenn einige Arten des Nahrungsnetzes verschwinden oder neue eingeführt werden, oder sich die Zahl der Jungtiere ändert, ist das gesamte Nahrungsnetz nicht mehr im Gleichgewicht – das gesamte Ökosystem ist gestört.
Fußnote
1: Abb. 3: 3. Klasse von Séverine Bonaric-Gros (Montpellier)
Letzte Aktualisierung: 29.11.2023